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Antwort an die Schamlosen –betr.: „Unterschriftenkartell“ (Laßt uns gemeinsam fürderhin schweigen!) von Elke Schmitter and friends, taz vom 17./18. 4. 99

Auf die Stellungnahme „Wir schämen uns“ (16. 4. 99) erschien in der taz eine niedliche Polemik gegen das „Unterschriftenkartell“ mit dem schönen ersten Satz: „Die Wärmestube des deutschen Geistes ist nach wie vor gut besetzt.“ Demnach sei Abendroth an Unterschriftsleistung durch „sein Ableben verhindert“, „Zwerenz [...] immerhin noch da“, „Eckart Spoo notorisch“, und Handke wie Wollschläger kommen „einer Eintrittskarte in die besseren Kreise gleich“.

Ich könnte der taz auf die Sprünge helfen, denn Böll und ich begründeten einst das Kartell, das weder eins war noch sich in Unterschriften erschöpfte, sondern Solidarität mit Verfolgten leistete, was so mancher Spötter, und deren gab es so viele wie Sandflöhe am Meer, jeweils dann wußte, wenn ihm Ungemach drohte – in solchen Fällen baten die tapfren Schreiberlein beim „Kartell“ um Hilfe. Sei's drum. [...]

Doch der taz steigt nach dem literarischen Quark auch noch die Milch der staatsfrommen Denkungsart in den Text: „Woher diese Tendenz zur Gemütlichkeit bei Menschen, zu deren Stellenbeschreibung es gehört, mit möglichst eigenen Worten eine möglichst eigene Meinung zu haben und ggf. kundzutun? [...] Es ist etwas Schreckliches um die menschliche Einsamkeit, und die deutsche Linke scheint das besonders stark zu empfinden. Selbst wenn sie sich schämt, macht sie das am liebsten im Kollektiv.“ Hut ab vor soviel Stellenbeschreibung, das könnte glatt Originalton FAZ sein. In den Jahren, als die taz noch taz war, schrieb ich zirka hundertmal im Blatt. Jeder einzelne Text sei widerrufen, denn wo die bombige Schamlosigkeit keinen Platz lassen will für die Scham einer Handvoll Gegner der drei deutschen Angriffskriege auf Serbien, da hat die Scham jedes Recht auf Artikulation verloren. Eine letzte Antwort aber sei gestattet.

Am 6. April 1941 zum Beispiel griffen deutsche Bombergeschwader ohne jede Kriegserklärung die offene Stadt Belgrad an. Siegreiches Ergebnis: Stadt großenteils zerstört, 17.000 tote Bewohner. Drei Jahre später, nach anderthalb Millionen getöteten Jugoslawen, kam der Tag der Rache. Er allein lebt im kollektiven deutschen Gedächtnis fort: Die Grausamkeiten des Partisanenkampfes gegen Wehrmacht und SS, die Morde und Massaker mit ausgestochenen Augen, abgehackten Gliedern, gekreuzigten Gefangenen, die massenhaften Folterungen und sadistischen Tötungen nach Kriegsende, die Sühnemärsche, Vertreibungsverbrechen, die schauerlichen Rachetaten – von den 175.000 Soldaten der Heeresgruppe E verloren in Gefangenschaft fast die Hälfte das Leben. Nach der Wiedereroberung Belgrads am 20. Oktober 1944 schlachteten die Partisanen im Blutrausch ihres Sieges auf einem einzigen Platz 5.000 Gefangene ab. Die Blutorgie veranlaßte sowjetische Offiziere schließlich zum Eingreifen. Es sollen damals an die 30.000 deutsche Gefangene massakriert worden sein.

Dies alles zu verkennen, Ursachen und Folgen zu ignorieren, nicht die Serben griffen Deutschland an, die Deutschen fielen ein in Serbien, das alles in den Wind zu schlagen und dieses Land ungescheut und schamlos wiederum zu bomben, das ist eben die Schamlosigkeit, gegen die wir unsere Scham setzten. Mehr Möglichkeiten der Artikulation haben die letzten verbliebenen Oppositionellen in diesem gottverdammten Vaterland nicht mehr. Wo also schämt sich her wer im Kollektiv? Wie 1914 und 1939 reiht sich das große deutsche Kollektiv schamlos bei den stärkeren Bataillonen ein. Wenn aber die UÇK an die Herrschaft kommt, ihr Großalbanien anstrebt, wird das USA-Nato-Kollektiv eben die UÇK-Albaner bomben, mit taz-FAZ-Propaganda in der ersten Reihe, begleitet vom Protest der wenigen, die sich wenigstens noch zu schämen wagen. Gerhard Zwerenz

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