: Welche Realität ist gemeint?
Viele Grüne erklären, die Realität müsse jetzt anerkannt werden. Aber welche Realität ist gemeint?
Die Realität der Morde und der Vertreibungen im Kosovo? Die Realität der Toten und die Vernichtung durch die Nato-Bomben? Die Realität der Bombenstimmung in den Köpfen der Grünen? Die Realität der Anpassung an den Mainstream der Mächtigen. Real ist der Sog der Meinung: Bomben als Ausweg aus der Auswegslosigkeit.
Woher kommt angesichts der fehlenden Erfolge der Bombenstrategie der Glaube, dieser Weg sei richtig?
Ist es die Realität der Fleischtöpfe, an die sich die Grünen festgesaugt haben? Warum gibt es jetzt plötzlich einen gerechten Krieg, gerechte Tote? Entbindet, befreit die Entscheidung zur Waffe von der Ambivalenz der Realitäten? Gehört zur Ausübung der politischen Macht nicht auch die Abwägung, was man mit den gerechten Bomben bewirkt? Ohne Bodentruppen, die man aus gutem Grund ablehnt. Gehört es zum Erwachsenwerden, einen kollektiven Glauben zu unterstützen, mit Bomben das Miloevic-Regime zu zerstören?
Frau Merkel hat recht: Hier wurde auf dem Parteitag ein fauler Kompromiß verabschiedet: Mit dem Feigenblatt einer von vornherein folgenlosen Forderung zur bedingten Waffenpause wurde die Teilnahme an der Macht erkauft.
Widerlegt aber nicht wiederum das reale Leiden die Hybris des „gerechten“ Krieges? Was ist da für eine fürchterliche Dialektik der aufgeklärten, gutmeinenden Menschen am Werk, die mit einem Feuerwerk an Betroffenheit intellektuellen Flankenschutz für die Militärmaschine geben?
Woher die Scheu zum Eingeständnis des Irrtums? Ist es nicht möglich, den intellekutellen Feldherrenhügel vorzeitig zu verlassen und nach realistischen Möglichkeiten zu suchen, mit dem Teufel zu verhandeln. Denn auf den Teufel hat man sich seit Beginn des Bombenterrors eh eingelassen.
Eine Partei, die die Teilhabe an der Macht in einer so entscheidenden Frage nicht zur Disposition stellen kann, ist ebenso unglaubwürdig wie der Rest der Etablierten. Mit dem Verlust der Glaubwürdigkeit verlieren die Grünen ihre Existenzberechtigung: In der Ausübung der Macht sind die großen Parteien geübter. Auf folgenlose Moralschauer kann man verzichten. Wolfgang Linsenhoff, Berlin
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