: „Er versteht sich als Friedensbotschafter“
■ Der Bremer Rechtsanwalt Eberhard Schultz über den ersten Prozeßtag gegen Abdullah Öcalan auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali. Der Jurist vertritt den PKK-Chef in Deutschland und Europa
taz: Das erste Statement von Öcalan klingt wie ein Kotau vor den türkischen Behörden. Hat Sie das überrascht?
Eberhard Schultz: Das würde ich nicht unbedingt so sehen. Er hat ja nicht erst seit seiner Reise betont, daß es ihm darum geht, Frieden zu schließen, und daß er sich als Friedensbotschafter versteht, der bereit ist, über alles zu diskutieren. Die früheren Forderungen nach einem eigenen Staat sind längst aufgegeben. Nach seiner Festnahme hat er mehrfach gesagt, er wolle sich für eine Demokratie für Kurden und Türken einsetzen. Genau das hat er jetzt noch einmal betont.
Er hat die Angehörigen der Opfer der PKK um Verzeihung gebeten und gesagt, er müsse unbedingt am Leben bleiben, um Frieden zu stiften. Das klingt nach einem verzweifelten Versuch, den eigenen Kopf zu retten.
Daß er die Opfer um Verzeihung bittet, ist sehr nachvollziehbar und auch schon vorher geschehen. Ich sehe das als sicherlich verzweifelten Versuch, die Türkei von ihrem Kurs abzubringen, die Kurden und ihn als Staatsfeind Nummer eins zu vernichten. Er stellt sich selbst als Garanten für eine friedliche Lösung dar. Das hat er sich bereits seit 1993 auf die Fahnen geschrieben.
Wie ist Ihr Status? Sie sind sein Anwalt, aber Sie dürfen nicht in die Türkei, um ihn zu veteidigen.
Ich bin sein Anwalt hier in Deutschland wegen des Verfahrens, das der Generalbundesanwalt gegen ihn führt. Außerdem habe ich an der Menschenrechtsbeschwerde des internationalen Verteidigerteams in Straßburg mitgearbeitet. Im Rahmen des Verfahrens in Deutschland habe ich versucht, eine Besuchserlaubnis auf Imrali zu bekommen. Der Europäische Gerichtshof hat auch gesagt, daß wir Zugang zu ihm haben müssen. Aber die Türkei hat das abgelehnt. Ich habe die schriftliche Ablehnung allerdings erst vor wenigen Tagen bekommen.
Haben Sie Kontakt zu ihm?
Nur indirekt über seine Verteidiger.
Inzwischen haben drei von Öcalans Anwälten ihr Mandat niedergelegt. Verstehen Sie, warum?
Ja. Sie sagen, daß eine vernünftige Verteidigung unter den Bedingungen vor dem Militärgericht nicht möglich ist. Bisher haben alle Besuche bei Öcalan unter Aufsicht von Militärs stattgefunden. Es hat kein einziges unüberwachtes, vertrauliches Gespräch gegeben. Das würde mich wahrscheinlich auch dazu bringen, zu sagen, daß man da nicht verteidigen kann. Der zweite Punkt ist, daß die mehrere zehntausend Seiten Ermittlungsakten und die Anklageschrift den Anwälten erst vor zwei Wochen zur Verfügung gestellt wurden. Hinzu kamen Morddrohungen gegen die Verteidiger und ihre Familien.
Trotzdem sind die anderen Anwälte geblieben. Das deutet auf Meinungsverschiedenheiten.
Es kann Meinungsverschiedenheiten geben. Aber darüber will ich jetzt nicht spekulieren. Auch die anderen Verteidiger haben erklärt, daß sie die Entscheidung respektieren und sich das auch sehr genau überlegen.
Mit was für einem Urteil rechnen Sie?
Mit der Todesstrafe.
Wird die auch ausgeführt werden?
Im Moment sieht es fast so aus. Die neue Regierung und das Parlament, das darüber entscheiden muß, stehen schließlich maßgeblich unter dem Einfluß der Partei der Nationalen Bewegung (MHP). Und ich kann mir nicht vorstellen, daß die zu irgend etwas anderem bereit ist. Andererseits muß die Türkei gewisse Rücksichten auf Europa nehmen, sogar das Militär, das in diesem Verfahren letztendlich das Sagen hat. Interview: Thomas Dreger
Von Eberhard Schultz erschien im GNN-Verlag das Buch „10 Jahre grenzüberschreitende Kurdenverfolgung“
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