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„Die Beiträge des IOC sind kabarettreif“

■ Leichtathletikpräsident Helmut Digel ärgert sich über Sportfunktionäre, die sich weiterhin gegen die von den EU-Sportministern angestrebte Verschärfung der Dopingbekämpfung sträuben

Paderborn (taz) – Ausgerechnet Fußballboß Joseph Blatter, der maßgeblichen Anteil an der Verwässerung der von vielen Seiten geforderten zweijährigen Mindestsperre bei schweren Dopingvergehen hatte, stilisiert sich zur Integrationsfigur der internationalen Dopingbekämpfung empor. „Ich bin der erste Fifa-Präsident, der den Dialog mit einer politischen Organisation gesucht und gefunden hat“, sagte der geübte Selbstdarsteller nach seinem Gespräch mit Bundesinnenminister Otto Schily in Paderborn.

Zwar blies dem Schweizer bei der informellen Konferenz der europäischen Sportminister und der abschließenden Podiumsdiskussion heftiger Gegenwind ins Gesicht, doch Blatter war ohnehin nicht nach Paderborn gekommen, um Ergebnisse zu erzielen. „Es ging in dieser informellen Diskussion ja nicht darum, Lösungen zu finden. Aber wir wissen, daß wir die Politik brauchen, um unseren Sport ausführen zu können“, schönwetterte Blatter inhaltsleer. Von seiner nach wie vor wenig energischen Position in den zentralen Fragen des Kampfes gegen die Einnahme unerlaubter Substanzen rückte er kein bißchen ab.

Schon am Mienenspiel von Helmut Digel, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes und Vizepräsident des Nationalen Olympischen Komitees, ließ sich ablesen, wie sehr ihn die mangelnde Bereitschaft Blatters wurmte, ernsthaft inhaltlich zu diskutieren. Den Kopf in die rechte Hand gestützt und mit starrem Blick verfolgte Digel die Redebeiträge Blatters, um dann die Haltung der internationalen Sportverbände, vor allem der Fifa und des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), scharf zu kritisieren. „Die Beiträge, die das IOC in den letzten Jahren auf dem Gebiet der Antidopingforschung in die Wege geleitet hat, sind geradezu kabarettreif“, schimpfte er. Die Labors hätten zum Beispiel kaum das Geld, Proben des Blutdopingmittels EPO einzukaufen. Wie solle da ein Nachweisverfahren erarbeitet werden. Gleichzeitig ließ die Forscher verlautbaren, daß sich die Leistungsfähigkeit der Athleten mit EPO um zehn Prozent steigern lasse. „Wenn das der Beitrag der medizinischen Forschung ist, dann ist sie schädlich“, machte Digel seinem offensichtlichen Frust Luft.

Innenminister Schily gab sich vergleichsweise zahm und war vor allem darum bemüht, das dünne Tuch, das durch die Präsenz Blatters zwischen den politischen Kräften und den internationalen Sportverbänden gespannt worden war, nicht prompt wieder zu zerreißen. „Wichtig ist, daß wir im Dialog stehen. Und was das IOC angeht, sind wir auf Kooperation aus“, sagte der Minister. Dennoch war Schily anzumerken, daß er aus der Einigung auf eine harte Linie, die er mit seinen Amtskollegen in Paderborn erzielte, neues Selbstvertrauen gewonnen hat. „Allerdings muß ich auch mit aller Klarheit sagen, daß es mir offenkundig scheint, daß das IOC einer grundlegenden Reform bedarf“, erklärte er mit Fingerzeig auf den Bestechungsskandal innerhalb des IOC. Mit seinem Zutrauen in die gegenwärtigen Strukturen eines der wichtigsten Verhandlungspartners ist es noch nicht allzu weit her.

Und Manfred von Richthofen, der vierte Teilnehmer der Diskussion? Der Präsident des Deutschen Sportbundes setzt ebenfalls auf Zusammenarbeit. Zwar brauche man eine unabhängige Antidopingagentur, deren Mitglieder keine Funktion in irgendeinem Verband haben dürften, doch seien „die großen Sportverbände als internationale Koordinierungsgremien unbedingt notwendig“. Helmut Digel hingegen schien sich nicht sicher zu sein, ob diese Verantwortung dort in den richtigen Händen ist. Er verwies darauf, daß in der Bundesrepublik nur durch ein aufwendiges An- und Abmeldesystem der Athleten, sowie durch den Einsatz mobiler Kontrolleure unangemeldete Kontrollen während des Trainings möglich seien. In vielen Nationen und Verbänden müßten solche Voraussetzungen aber erst geschaffen werden. „Es muß die Frage erlaubt sein, was die Fifa konkret für die Dopingbekämpfung macht“, meldete er Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Bemühungen des Fußballverbandes an. „Und wenn die Herren vom IOC international eine Situation erreichen wollen, wie wir sie in Deutschland haben“, so Digel, „müssen sie wissen, was sie tun.“ Michael Becker.

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