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Der Sound der ersten Rendite

Gar nicht so einfach, sich auf die Zukunft zu einigen: Das Indie- und Postrock-Label Kitty-Yo feiert sein 5jähriges Jubiläum mit der CD „Freischwimmer“  ■   Von Gerrit Bartels

Ein schönes Bild, das man da bei Kitty-Yo zum Jubiläum gefunden hat: „Freischwimmer“ heißt die Doppel-CD, mit der das Berliner Label sein fünfjähriges Bestehen feiert. Dieser Titel mag signalisieren, dass erste Renditen abfallen und es jetzt richtig losgeht. Doch er drückt auch Vorsicht und Zurückhaltung aus und scheint einige Fragen aufzuwerfen: Sind fünf Jahre eigentlich schon ein Grund, um richtig feste zu feiern? Reicht ein Freischwimmer, um wirklich schwimmen zu können, müssen da nicht, um im Bild zu bleiben, auch der Fahrten- und Jugendschwimmer her? Womöglich gar die DLRG? Steckt man nicht noch immer in den Kinderschuhen und weiß gar nicht so genau, wohin und wie weit die Reise geht?

Zumal Kitty-Yo qua Standort plötzlich auch in anderen Zusammenhängen als denen von Musikbusiness und Postrock gesehen wird: So fand sich das Label in dem Büchlein „Berlin.Now“ zusammen mit anderen „Projekten Junger Kultur“ wieder, und so steht es, ob die Kitty-Yos das nun wollen oder nicht, auch als ideales Beispiel für die „innovativen und neuen Existenzgründer“, denen beispielsweise ein Marc Wohlrabe so gern mit Geld und „Strukturen“ unter die Arme greifen will. Willkommen im neuen Berlin!

An solche Grüße dachten Patrick Wagner und Raik Hölzel sicher nicht, als sie 1994 ihr Label auf ein paar Quadratmetern der eigenen Wohnung in der Brunnenstraße in Mitte gründeten. Ihnen ging es vor allem darum, „sich die eigene Plattensammlung zusammenzustellen“ und Platten von Wagners Band Surrogat zu veröffentlichen. Zusammen mit Wuhling, die seinerzeit ihre erste Single bei Kitty-Yo veröffentlichten, verkörperte das Label dann schon in seinen Anfängen die Hoffnung, gerade in Berlin endlich mal andere Rock- und Gitarrensounds zu hören als die von den Neubauten, Brötzmann oder Kreuzberger Crossover-Kapellen. Dazu kam, dass Indierock zu dieser Zeit seine ersten großen Krisen durchmachte, dass in Indieland darüber nachgedacht wurde, Gitarren und Elektronik miteinander zu verbinden, und plötzlich auch von Postrock die Rede war. Kitty-Yo war zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle: Albumveröffentlichungen von Bands wie Kante, Couch, Tarwater oder To Rococo Rot schienen zu bestätigen, dass man es in erster Linie mit einem deutschen Postrock-Label zu tun hatte.

Doch andererseits irritierte Kitty-Yo auch mit Alben von Bands wie Brüllen, Hamburgs Antwort auf die Businessausflüge der Hamburger Schule, wie den Emo-Elektronikern Laub oder auch Go Plus, einer Band, die das Wörtchen „ich“ häufiger benutzt als Jochen Distelmeyer und deren Musik sich auch genauso anhört: Das Programm von Kitty Yo war und ist nicht darauf ausgelegt, sich auf eine Musikfarbe festlegen zu lassen. Man durchkreuzt mit Wonne die gerade in der Musikwelt typischen und wichtigen Erwartungshaltungen und entwickelt so ein Stilbewusstsein jenseits jeweils angesagter Stile: lokalisiert zwischen den weiten Polen von Gefühl und Abstraktion, von Musik und Theorie, und, nicht zuletzt, zwischen lokalem Indierock und weltweiter Vernetzung.

Man schwimmt sich heute dann auch nicht mehr ganz alleine frei: Kitty-Yo arbeitet in Sachen Produktion, Promotion und Vertrieb seit jeher mit anderen Labels zusammen, mit den Berliner Kollegen von City Slang, mit den Weilheimer Labels Kollaps und Payola („Einigen wir uns auf die Zukunft?“), mit Drag City in Amerika oder Too Pure in England. Wiewohl solche Indievernetzungen Kitty-Yo nicht davon abhält, auch Kooperationen mit Majors einzugehen und sich schon allein aus finanziellen Erwägungen die Frage zu stellen, ob man sich nicht ganz in die Obhut (?) eines Majors geben sollte oder muss.

Insofern wird die Sache mit der Unabhängigkeit Kitty-Yo auch die nächsten Jahre einiges Kopfzerbrechen bereiten. Dass dazu noch ganz bestimmte Berliner Stimmungen und Begehrlichkeiten hinzukommen macht es nicht einfacher. Denn so richtig es sein mag, in Kitty-Yo ein Beispiel für die neue Berliner Gründergeneration zu sehen, so schwer fällt es Patrick Wagner, plötzlich in einem Atemzug mit Leuten wie Flyer-Herausgeber Marc Wohlrabe genannt zu werden – wie vor kurzem anlässlich des Medienfestivals BerlinBeta in der Berliner Morgenpost.

Immerhin merkt man auch bei Kitty-Yo, dass die goldenen Aufbruchzeiten der Mittneunziger in Mitte lange vorbei sind, dass club- und soundtechnisch eben nicht mehr alles möglich ist, die vielen kleinen Part-Time-Clubs und Wohnzimmerbars zunehmend verdrängt werden und für Vorstellungen von Unabhängigkeit und eher „schwierigen“ Sounds immer weniger Platz ist. Wenn die Spex fragt, „wie viel Kitty-Yo-Ästhetik wohl in den Cafés in Mitte“ steckt, ist man spontan geneigt zu sagen: Gar keine. Zwischen einem Restaurant wie dem Maxwell und dem mittlerweile in der Torstraße gelegenen, immer noch kleinen und chaotisch wirkenden Büro von Kitty-Yo liegen, auch wenn sie nur ein paar hundert Meter voneinander entfernt sind, Welten, inhaltlich und ästhetisch.

Und selbst wenn die eine oder andere Kitty-Yo-Band mittlerweile so manches Dachgeschoss in Mitte akustisch ausstatten sollte, wie Patrick Wagner sich das in schwachen Momenten vorstellen kann: Die Sounds, die man in diesen Tagen in Mitte so hört, die Leute, die dort herumlaufen, und die immer wieder neuen Cafés mit ihren irgendwie stromlinienförmig und gleich aussehenden Einrichtungen haben mit Kitty-Yo noch immer so viel zu tun zu wie Puff Daddy mit Chuck D.

Sollten sich in Zukunft aber tatsächlich mehr Berührungen ergeben, dürfte das neue Album von Surrogat für neue Verstörung sorgen. Das wird, laut Wagner, „ein richtiger Hardrock-Hammer“.

Kitty Yo Int. 1994–1997, 1998 bis 1999: „Freischwimmer“ (Kitty-Yo/Efa)

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