: „Ich bin keine Trompete“
■ Jessye Norman macht auch beim Musikfest, was sie immer macht: begeistern
Was soll man dazu sagen, auch noch schreiben? Denn beschreiben lässt sich die Kunst der Jessye Norman nicht. Als sie vor genau dreißig Jahren ein Jahr nach dem Sieg im Münchner ARD-Wettbewerb in Bremen gastierte, war sie neunzehn Jahre alt. Ihre Stimme sei, so sagte der Kritiker Ulrich Schreiber schon damals anlässlich ihrer ersten Schallplattenveröffentlichung, „wie ein Naturereignis über den Musikmarkt gekommen“. Wohl keine ausländische Sängerin der Welt und schon gar keine schwarze, hat sich derartig perfekt in das deutsche Liedrepertoire einarbeiten können wie Jessye Norman. Jessye Norman hat in ihrer einzigartigen Karriere nie Kompromisse gemacht, sie hat nie das wirkungsvolle und gängige Repertoire gesungen, sie hat sich nicht verschleißen lassen und sie hat der Gefahr widerstanden, ihre an sich große und umfangreiche Stimme ins Heroische zu forcieren: „Ich bin keine Trompete.“
Im Gegenteil: Was ein Piano wirklich sein kann, macht kaum jemand so perfekt und vor allem inhaltlich getragen vor wie Jessye Norman. „Ein Pianissimo ist ein Pianissimo ist ein Pianissimo“, sagte sie einst. Ihr resonanzreiches Pianissimo trug im großen Glockensaal beim restlos ausverkauften Musikfestkonzert bis in die letzte Reihe. Es war eine andächtige Stille im Saal, als wäre er leer. Zu Jessye Normans perfektem Gesang gesellt sich auch noch eine außergewöhnliche Ausstrahlung. Sie trägt einen „afrikanischen“ Turban und weite Gewänder. Nichts von Routine ist zu spüren an der Art, wie sie auch mit den Händen ihre Lieder gestaltet, fast als ob sie sie modelliert und selber staunt, was dabei herausgekommen ist. In den Klaviernachspielen horcht sie ihnen nach, als habe sie sie eben kennen gelernt.
Damit gelingt ihr mit jedem Lied, gleichgültig welcher Provenienz, die Vermittlung einer seelischen Existenzialität, eines Kosmos, den sie beendet mit „Kling, meine Seele, kling“ von Richard Strauß. In diesem letzten „Kling“ zeigt sie ihre Kunst des „Messa di voce“ – des An- und Abschwellens eines Tones – in einer Art und Weise, wie sie bei solch mächtigen Stimmen eher selten ist.
Die musikalische Spannung, die sie in den Liedern von Richard Strauß, Ernest Chausson und Francois Poulenc erzeugt, liegt unter anderem in diesem „Leisen“, in einer Fülle des Wohllauts, in einer Atemstütze, die keine Grenzen zu kennen scheint, in einer Subtilität des Ausdrucks, die die ZuhörerInnen zu stehenden Ovationen hinriss. Es war bezeichnend, dass dieser enorme Beifall eher ergriffen als vordergründig laut war. In Mark Markham hatte sie einen adäquaten Begleiter, einen, der hellhörig und reaktionsschnell das richtige Maß an eigenen Farben und Impulsen gab. Ute Schalz-Laurenze
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