: Gefühl im Gewühl
■ Taschendiebe im Weihnachtsrummel: Polizei warnt vor Klau-Boom im Kaufrausch Von Kai von Appen
„Hoppla, 'tschuldigung“: Scheinbar aus Versehen hat der Mann gerade seine Nachbarin im Kaufhaus angerempelt. Es entwickelt sich ein kurzes Gespräch: „Es tut mir wirklich leid“ – „Ach, macht ja nichts, war nicht schlimm.“ Was die junge Frau nicht ahnt: Die Komplizin des Mannes nutzt Dialog und Ablenkung, um in Sekundenschnelle die Handtasche der Kaufhausbummlerin zu öffnen und die Geldbörse zu mopsen. Ein typischer Fall.
Unmittelbar vor Weihnachtsrummel und Geschenkrausch versucht Hamburgs Polizei, Taschendieben die Klau-Hochkonjunktur zu vermasseln. An langen Donnerstagen und verkaufsoffenen Sonnabenden starten die Hüter von Ordnung und Handtasche eine Aufklärungs-Offensive – wenn auch nur in der City. Die Polizei hat dazu eigens eine „Sonderwache“ auf der Mönckebergstraße eingerichtet, wo Tips zu erhalten sind und Anzeigen aufgegeben werden können.
Mit ausgefeilten Sprüchen werden Versmaß strapaziert und Kunden sensibilisiert: „Gedränge nur dem Dieb gefällt, drum Augen auf und Hand aufs Geld.“ Oder: „Taschendiebe machen's im Gewühl mit Gefühl.“
Die Palette der Vorgehensweise von TrickdiebInnen ist vielfältig. Gerade die Ablenkung beim Klamottenkauf wird gerne genutzt, um arglose BürgerInnen um die Geldbörse zu erleichtern. Vor allem die in Einkaufskörbe oder sorglos in Jacken- und Hosentaschen gesteckten Brieftaschen sind für den gewievten Taschendieb ein problemloses Ziel der Begierde. Wirksamen Schutz vor Klauerei bietet nur der Brustbeutel unter Hemd oder Pullover oder der Geldgurt um den Bauch.
„Ein Taschendiebstahl dauert nur vier Sekunden“, so ein Fahnder. 10.000 Trickdiebstähle registrierte die Polizei im vorigen Jahr. „Die Dunkelziffer liegt bei 30.000 Delikten.“ Bevorzugte Operationsgebiete: Kneipen, Kaufhäuser, Supermärkte, Bahnhöfe oder Menschenansammlungen. Oft merken die Betroffen den Klau erst viel später. Und dann der Schreck: „Wo ist denn meine Brieftasche?“
Und da setzt die polizeiliche Selbstkritik an. Denn wenn ein Betroffener selbst nicht so genau weiß, ob er bestohlen worden ist, weigern sich die BeamtInnen in den Revieren oft, eine Anzeige aufzunehmen, und verweisen an das Fundbüro. Die TrickdiebfahnderInnen bleiben aber bei ihrem Rat, sofort Anzeige zu erstatten: „Dann können die Zivilfahnder sofort ausschwärmen und die Täter stellen. Oft haben die die Beute noch dabei, und die Gegenstände können an die Bestohlenen zurückgegeben werden.“
Taschendieben, warnt übrigens ein Kripo-Experte, könne man ihren Broterwerb keineswegs ansehen: „Ihr Äußeres ist unscheinbar.“ Und auch Alter schütze nicht vor Torheit: „Ich kenne eine Frau, die ist 65 Jahre alt, und einen Mann, der ist schon weit über 70“. Die hätten, so fügt er hinzu, „leider nie etwas anderes gelernt.“
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