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Garaus für die Einheits-Feierei

■ Vom Zwangsumtausch zum „Einheiz-Markt“: Rund um den Tag der Deutschen Einheit wollen Trotzkisten, Sozialisten, Ostalgisten und sonstige Kabarettisten den Regierenden die Show stehlen

Auch am Tag der Deutschen Einheit ist Berlin geteilt: Während am Sonntag rund um den Pariser Platz „Deutschlands Fest 1999“ tobt, wird der Rest der Stadt zur Bühne für Proteste aller Art. Wer also keine Lust hat, am Sonntag zwischen 14 und 16 Uhr live vom ZDF auf dem Volksfest gefilmt zu werden und auch kein Interesse am Festumzug mit 16 Jugendlichen hat, die mit einer vier mal acht Meter großen Deutschlandfahne durch die Straße des 17. Juni ziehen, hat genug Ausweichmöglichkeiten.

Bereits heute soll der Unmut über die Einheitsfeiern an exponierter Stelle – an den Hackeschen Höfen – ausgelassen werden. Unter dem Motto „Es gibt keinen Grund zum Feiern – Den Deutschlandwahn stoppen“ ruft die trotzkistische Gruppe „Internationale Berlin“ zwischen 18 und 23 Uhr zu einem Zug Richtung Oranienburger Tor auf.

Bedeutend ernster geht es wenige Stunden zuvor zu. Für 14 Uhr ruft der PDS-Abgeordnete Steffen Zillich an der Ecke Friedrichstraße/Unter den Linden zu einer Kundgebung „Keine Chance dem Antisemitismus“ auf. Der Anlass ist eine zur gleichen Zeit beginnende Kundgebung des Bundes Freier Bürger, die vor der Neuen Wache gegen das Holocaust-Mahnmal demonstrieren wollen.

Wer den Tag der Deutschen Einheit rückwärtsgewandt begehen will, kann am Samstagabend in die Arena nach Treptow fahren. Dort werden mehrere tausend Gäste zur „Ostalgie-Nacht“ mit Zwangsumtausch und Vita-Cola erwartet. Wahrscheinlich, damit der Laden wirklich brummt, haben die Veranstalter angekündigt, dass weitere Veranstaltungen dieser Art nur noch auf Mallorca und Ibiza stattfinden sollen.

Eine zugegebenermaßen nicht gerade spannende Alternative wäre ein vom SPD-Spitzenkandidaten Walter Momper organisiertes Fest im Willy-Brandt-Haus, zu dem auch Bundstagspräsident Thierse, Brandenburgs Ministerpräsident Stolpe und das Pop-Duo Monella & Benny erwartet werden. Klingt auch irgendwie nostalgisch.

Am Sonntag dann ist die Qual der Wahl besonders groß. Am Alex geben sich sowohl die PDS – mit einem „Einheiz-Markt“ – als auch die CDU – mit den christlich- demokratischen Arbeitnehmern – ab 10 Uhr ein Stelldichein. Wenige Meter entfernt feiert der Regierende Bürgermeister zwischen 16 und 21 Uhr sein berauschendes Bürgerfest im Roten Rathaus.

Am Gendarmenmarkt macht sich ab 11.30 Uhr die „Assoziation liberal sozialer Ordnung“ mit ihrer Kundgebung „gegen die Unfähigkeit der Politiker“ breit. Wen auch das nicht anspricht, der sei auf 11.30 Uhr auf den Olivaer Platz verwiesen. Dort sammelt sich Amok, das „Anti-Militaristische Oberjubel K.O.M.I.T.E.E.“, mit dem Kabarettisten Dr. Seltsam an der Spitze. „Die Parade soll der Berliner Einheits-Feierei den Garaus machen“, so das Motto.

Eine halbe Stunde vorher startet am nahe gelegenen Adenauerplatz ein ganz seltsamer Haufen. Die „Initiative gegen SED-Unrecht“, „Studenten für den Rechtsstaat e.V.“ und verschiedene Opferverbände feiern das „50jährige Siechtum unseres Rechtsstaates“. Mit dabei der Hamburger CDU-Rebell Heiko Peters, der monatelang eine millionenschwere Anzeigenkampagne gegen die Enteignungen in Ostdeutschland fuhr, und eine Beatrix Herzogin von Oldenburg. Ach so, und dann machen ab 12 Uhr Obdachlose zwischen der Stargarder Straße und dem Helmholtzplatz mobil unter dem Motto „Auch wir wollen wohnen“. B. Bollwahn de Paez Casanova

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