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Mal das Schwein rauslassen

Fies sein kann jeder. Und jeder ist es auch. Gemeinheit kann Weihnachten sprengen, Brücken schlagen und Kontakte schaffen  ■ Von Sandra Wilsdorf

Einen Freund zum Weihnachtsessen einladen und ihm einen Gänsebraten servieren, obwohl er Vegetarier ist. „Ach ja, Alkohol trinkst Du auch nicht, habe ich ganz vergessen. Ich glaube, den letzten Sprudel habe ich gestern gerade getrunken.“ Gemein. Einer Freundin eine Kette schenken, obwohl man sie noch nie mit einer Kette gesehen hat. Gemein? Und wenn sie erst erfreut tut, man sie Wochen später trifft und sie erklärt, sie hätte die Kette in Ohrringe umgetauscht, ist das gemein?

„Lügen, Lachen und andere Gemeinheiten“ heißen die Seminare von Ute Schmitz und Cornelia Ölund. Die Psychologin und die Tanz-, Theater- und Gestaltpädagogin glauben: „Erst wenn wir über ein gewisses Maß an Gemeinheiten verfügen, müssen wir nicht mehr für jede Gemeinheit zur Verfügung stehen.“ Es geht ihnen nicht darum, dass jeder gemein sein muss, „aber erst wenn ich die Freiheit habe, gemein zu sein, muss ich nicht immer nur nett bleiben“. Sie gehen davon aus, „dass wir mit einer präzise dosierten Gemeinheit Situationen oft besser klären könnten als mit unserem unreflektierten Gutmenschentum“. Bösesein als soziale Kompetenz.

Die Gemeinheit ist eine „berechnende, niedere Gesinnung“, behauptet das Lexikon. Aber Gemeinheit kann auch Brücken schlagen, kann Kontakte schaffen. „Höflichkeit kommt von Hof, damit hält man die Leute auf Abstand“, sagt Cornelia Ölund. Immer nett zu sein ist unverbindlich und auf Dauer langweilig. „Zur Erotik gehört beispielsweise die Provokation, und das läßt sich auf das restliche Leben übertragen“, sagt Cornelia Ölund. Wer gemein ist, geht ein Risiko ein.

Gerade Weihnachten gibt es dafür endlos viele Möglichkeiten. Da sind zunächst mal die Geschenke. Garantiert gemein: gar nichts schenken. Noch fieser: kratzige Schals und Pullover an Neurodermitiker, ein riesiges Gemälde für einen Dachstubenbewohner oder Unterhosen an Söhne, die älter als 25 sind. Gemein kann natürlich auch sein, wer ein Geschenk bekommt. „Gott wie scheußlich“ oder „Was soll ich denn damit?“ sind die direkten Varianten. Schweigen, leiden und später umtauschen ist irgendwie auch gemein. „Ich muss mich immer fragen, was ich ertragen kann, und was ich mit dem anderen zu tun haben will“, sagt Cornelia Ölund. Ich muss auch gar nicht reagieren. „Aber dann habe ich wieder wertvolle Stunden verschenkt“.

Sie selber hat beispielsweise pikiert reagiert, als ihr die beste Freundin Nagellack geschenkt hat. „Du könntest da etwas mehr Mut vertragen“, habe die Freundin gesagt. Denn hinter dem Geschenk stand durchaus eine Idee. Aber erfahren hat Cornelia Ölund das nur, weil sie reagiert hat. Risiko.

Möglichkeiten, Weihnachten mal so richtig fies zu sein, gibt es natürlich nicht nur beim Schenken. Man kann auch versprechen, bei der Weihnachtsfeier für die Musik zu sorgen und dann „Heaven sings X-mas“ vom Angefahrenen Schulkinder-Heaven mitbringen. Im Trainingsanzug aufzutauchen beleidigt die Familie im Zweifel auch. Oder man kann Eltern, Großeltern und andere Verwandte ein für allemal mundtot machen, indem man die regelmäßig wiederkehrende Frage: „Sag mal, wann wollt ihr denn endlich heiraten“ mit der Gegenfrage kontert „Habt ihr eigentlich noch Sex?“

Das sind ganz bewusste Bosheiten. Aber: „Die meisten Gemeinheiten passieren unbewusst“, glaubt Cornelia Ölund. Lachen kann gemein sein, wenn es Schadenfreude ist, wenn es jemanden auslacht oder ihn verunsichert. Lügen können gemein sein oder auch gnädig. Eben eine Frage der Moral. Überhaupt Lügen: Die wollen geübt sein. „Da muss ich gut aufpassen.“ Auf Informationen des Gegenübers und auf die Dosis. „Wenn wir das im Schonraum des Seminars üben, sind manche so begeistert, dass sie völlig über das Ziel hinausschießen.“

Übrigens: Jeder kann gemein sein. Und jeder ist es auch. „Diejenigen, die behaupten, sie wären immer nur nett, merken es nur nicht.“ Oder sie müssten sich mit ihrem fiesen Ich erst anfreunden. Gerade die Gutmenschen seien es oft, die in Seminaren andere verletzen und dann ganz überrascht sind.

Ingnorieren, kontern, sich betroffen zeigen: Das sind die drei Möglichkeiten, auf Gemeinheiten zu reagieren. Was aber eine Gemeinheit ist, muss jeder für sich entscheiden. „Weil du neben mir stehst, nimmst du mir die Luft zum atmen, das ist gemein.“ „Bist du empfindlich.“ Wer ist gemein? Das ist immer eine Frage der Bewertung und eine Frage von Macht. „Gemein zu sein ist in unserer Gesellschaft den Mächtigen vorbehalten. Ansonsten ist es doch ein Tabu.“ Allerdings nicht bei allen. Die Prinzen wussten schon vor Jahren: „Du musst ein Schwein sein in dieser Welt, Du musst gemein sein“.

Gemein zu sein kann jeder üben. Wer damit Weihnachten anfängt, mischt das Fest vermutlich richtig auf. Das ist für Cornelia Ölund nicht der zwingend beste Zeitpunkt. Es gehört einfach zum Leben dazu. So wie man eben mal salzig und dann mal wieder süß bevorzugt. „Ich glaube nicht, dass Weihnachten aufgemischt werden muss, ich glaube, dass das Leben in Maßen aufgemischt gehört“.

Die nächsten „Lügen, Lachen und andere Gemeinheiten“-Seminare gibt es wieder am 19. und 20. Februar und Mitte April. Informationen und Anmeldung bei Cornelia Ölund unter 040/390 42 32.

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