: ■ Literarische Arbeit zerstört
betr.: „Total frustrierte junge Männer unter sich“, Intertaz vom 3. 1. 00
Es ist sehr zu begrüßen, wenn Helmut Höge in seinem Beitrag das Augenmerk einmal auf die Bücher von osteuropäischen Schriftstellerkollegen lenkt, die seit Jahren in Deutschland leben und schreiben und die Literatur hierzulande bereichern. Leider unterläuft ihm dabei ein fataler Irrtum, wie er in der deutschen Literaturkritik dieser Jahre (wenn man sie als solche bezeichnen will) immer weiter um sich greift.
Höge setzt die Biografie der Autoren durchgehend in eins mit ihrem fiktionalen Personal. Er redet über Romane, als seien es Sozialreporte von gescheiterten Randexistenzen – und eben nicht Literatur.
Ich kenne Darius Muszer seit Jahren und schätze ihn als einen der besseren Kollegen (ohne jeden Polen-Rabatt). Ihn mit seiner Romanfigur Naletnik zu identifizieren zerstört seine literarische Arbeit, und gleichzeitig beschädigt es die Person des Autors. Darius Muszer hat (anders als sein literarischer Held) niemals Sozialhilfe bezogen. Und was die „Arschlochhaftigkeit seiner Existenz“ angeht: Sie ist gewiss um keinen Deut größer als die eines jeden von uns ordentlichen Deutschen. Michael Zeller, Wuppertal
[. . .] Ihr Kommentator greift, sichtlich besorgt über „die seit 1989 anschwellende Welle von Emigranten aus Osteuropa“, über „Polen“ und „Russen“ (die Anführungszeichen finden sich bei Herrn Höge), zu zwei Büchern, deren Autoren und deren Existenz er unverantwortlich und zynisch mit den Personen ihrer Romane gleichsetzt.
„Beide Autoren kämpfen mit der Sinnlosigkeit“, „sie wollen ihrem flüchtigen Leben auf den Grund gehen, auch wenn es wahrscheinlich völlig grundlos ist“, „nehmen regelmäßig Psychopharmaka“, „haben beide verzwickte Onaniertechniken entwickelt“, „beziehen, von gelegentlichen Jobs abgesehen, Sozialhilfe“, und deshalb „müssen Rache, Gewalt und Heldenträume das lädierte Selbstbewusstsein heilen“. Auf die Autoren bezogen – ich kenne Darius Muszer als Autor unseres Verlages ein wenig genauer – sind diese Aussagen Schmutz und Lüge. Darüber hinaus ist dem Artikel Helmut Höges für den aufmerksamen Beobachter eine gewisse Nähe zum „Völkischen“ zu eigen, und seine resümierende rhetorische Frage: „Bereitet sich hier eine Höllenmaschine vor, oder schmiert sich ein folgsames Räderwerk ein?“ ist ein Appell an niedere politische Instinkte. [. . .]
Albert Völkmann, A1 Verlag, München
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