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Ein brillanter Geheimtipp

■ Pianist Lars Vogt und die Deutsche Kammerphilharmonie bescherten Sternstunde mit Beethoven

Sieben Jahre ist es her, seit der junge Pianist Lars Vogt sich in Bremen in der Reihe „Auf schwarzen und auf weißen Tasten“ vorgestellt hat – damals noch sehr jung, sozusagen Geheimtipp wie so viele PianistInnen, die der damalige Radio-Bremen-Redakteur Peter Schilbach mit seiner Kenntnis und seiner Spürnase gefunden hat. Er wird über den jetzigen Auftritt von Lars Vogt bei und mit der Deutschen Kammerphilharmonie seine helle Freude gehabt haben, denn was da in der ausverkauften Glocke zu hören, ja zu erleben war, kam – wieder mal bei der Deutschen Kammerphilharmonie – einer Sternstunde gleich.

Dabei war Lars Vogt „nur“ Ersatz für den fabelhaft-exzentrischen Olli Mustonen, der Beethovens fünftes Klavierkonzert spielen wollte. Vogt interpretierte das erste Konzert in C-Dur von Beethoven, und vom ersten Takt an stimmte seine spontan wirkende Inspiriertheit, seine Rhetorik, sein Witz – der Wiedereinsatz des Themas im ersten Satz ließ nicht nur die Mitglieder des Orchesters schmunzeln – bestens mit den Aktionen der Kammerphilharmonie überein. Was natürlich für dieses Konzert auch unabdingbar ist, denn der Orchestersatz ist hier nicht mehr, wie noch im 18. Jahrhundert, ein Ritornell, sondern präsentiert und entwickelt die Themen. Selten wird in einem Konzert so deutlich wie an diesem Abend, dass die Voraussetzungen für ein perfektes Gelingen in der ästhetischen Qualität der Beteiligten liegt: Weder hätte Lars Vogt solch quirlige Explosionen mit einem xy-Kammerorchester bringen können noch die Kammerphilharmonie so auf der vordersten Reaktionskante sitzen können wie an diesem Abend.

Nachdem Daniel Harding Ostern 1999 mit der ersten Sinfonie seinen ersten Brahms in Bremen dirigierte, ist er nun längerfristig dran an diesem Komponisten, der ihn noch ein wenig zu überrollen scheint. Die dritte Sinfonie in F-Dur überzeugte in ihrem Schwung zwar letztendlich, hatte aber auch genau darin noch ihre Probleme. Harding, der unter Hochdruck steht, der ihn selber mitzureißen scheint, überträgt das natürlich auch aufs Orchester. Und so kommt, dass die innere Unruhe der Brahms'schen Konstruktion sich als brodelnde Explosion so verselbständigt, dass es kein Zurück mehr gibt. Im dritten langsamen Satz war das zu merken, der kaum in einen ruhigen Atem zu bannen war. Und überspielt wird auch ab und an die für Brahms so wichtige aperiodische Rhythmik.

Dafür sucht Harding, ständig vom Werk getrieben, atmosphärische Klangfelder, die er zuweilen auch fast überspitzt ausbreitet. So zum Beispiel das „un poco sostenuto“: als wären wir in einem anderen Stück. Aber letztendlich wurde auch diese Wiedergabe mit hinreißenden Instrumentalsoli begeistert aufgenommen. Harding hat einmal mehr überzeugend gezeigt, was in ihm steckt: eine so tiefe Musikalität, die die gespielten Stücke wie im Augenblick erfunden wirken lässt. Seine Körpersprache ist sicherer geworden, verlässt sich mehr auf das, was die Musik ihm vorgibt. Harding ist ein intuitiver Dirigent, der nach aufführungspraktischen Vorgaben nicht vorrangig fragt. Hoffentlich kann er sich das auf Dauer leisten.

Eingangs hatte die Kammerphilharmonie „Choc“ des 1971 geborenen Matthias Pintscher gespielt. Pintscher, ein Schüler Manfred Trojahns und Hans Werner Henzes, hat nicht nur viele Einfälle, er kann vor allem viel davon umsetzen: Bunt und explosiv seine Instrumentation der vier Instrumentalgruppen: drei Schlagzeuger, Blechbläser, Holzbläser und Streicher. Klingt ganz normal, ist aber, da Pintscher eine antiphonale – also nach alter Kirchentradition gruppenweise – Gestaltung wählt, doch tauglich für formale und klangliche Überraschungen. Vieles klingt archaisch, wie ein Wuseln in Urzuständen, aber der Eindruck einer schnuckeligen Dekorarbeit wurde im Laufe des Stückes stärker.

Ute Schalz-Laurenze

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