Küssen bis zum Genickbruch

■ Die belgische Tanz-Company „Les Ballets C. de la B.“ begeisterte im Schauspielhaus

Der belgische Choreograph Hans van den Broeck zählt mit seiner „Les Ballets C. de la B.“ zu denen, die jeglicher narzistischen Körperästhetisierung abgesagt haben und eine Bewegungsmethode und -strategie anstreben, die strikt aus den Inhalten entwickelt wird. Seine spezifische Mischung aus unsagbarer gesellschaftlicher Trauer und gleichzeitiger Komik, die genau diese Zustände immer auch bedeuten, hat schon beim letzten Bremer Tanzfestival tiefen Eindruck hinterlassen.

Jetzt war im ausverkauften Schauspielhaus „La Sortie“ zu sehen: Die Basis ist ein Wartesaal, in dem vier Frauen und vier Männer zusammengepfercht sind. Und nun geht im wahrsten Sinne des Wortes die Post ab mit deren Sehnsüchten, Träumen, Einbildungen, Ängsten, Verrücktheiten, Ticks und was auch immer.

Bei Hans van den Broeck gestaltet sich die Spannung einer solchen Choreographie aus dem oszillierenden Ineinander von Entsetzen und Komik. Sie gestaltet sich aus der abrupten Schnelligkeit der Wechsel von geradezu ersterbenden Szenen in eine Explosion von akrobatischen Pas de deux oder auch Gruppentänzen. Sie gestaltet sich mit einer Präzision der persönlichen Typen, die so, wie sie sind, als Tänzer nicht austauschbar sind: Vielleicht ist das das eigentliche Geheimnis, da hier jede Mimik, jeder Schritt, jede Bewegung, jedes Miteinander eine Performance ist. (Performance meint eine Darstellungsweise, die derart an die Person des Performers gebunden ist, da er/sie nicht austauschbar ist).

Hier also: Da sitzt der Cowboy, der seinen Pistolenauftritt übt – gut eingeblendet die Musik dazu: Spiel mir das Lied vom Tod. Da ackert ein Tischtennisspieler gegen eine Wand autistisch vor sich hin, da küssen sich zwei fast zwanzig Minuten lang und lassen ihre Körperhaltung in absurd witzige Lagen übergehen.

Alle Phasen, die nicht choreographisch, sondern schauspielerisch gearbeitet sind, zeichnet eine seelische Anspannung von höchster Intensität und Virtuosität aus. Aber dann – und das ist typisch für van den Broeck – gibt es genau von da heraus regelrechte tänzerische Comedy. Da ist der Batman, da ist die Renaissanceprinzessin, da ist die Fitnessstudioleiterin – ich werde, ohne einen Lachkoller zu kriegen, eine Zeit lang nicht mehr in mein Fitnessstudio gehen können –, sie alle suchen ohne Aussicht auf Erfolg ihre Identitäten. Und da ist immer wieder die Gruppe: Alle meinen, am Fernsehen einen Lottogewinn gemacht zu haben – das Theater scheint zu explodieren – , und die einen, der Geburtstag hat, zu Tode feiern.

Hans van den Broek geht in Bezug auf den existentiellen, auch absolut gesundheitsgefährdenden Einsatz immer wieder an die Grenzen: wenn eine Frau liegend auf einem Skateboard rumrast und in einem ganz kleinen Kasten landen muss – wehe, den trifft sie nicht – , wenn einer mit einem riesigen Brett hantiert und so viele Menschen in hohem Reaktionstempo die Köpfe einziehen müssen, da die kleinste Ungenauigkeit solches in Unordnung bringt.

Nach 70 Minuten hochgepeitschter innerlicher und äußerlicher Kraftakte geht Luft und Licht aus und ein großer Abend zu Ende.

Ute Schalz-Laurenze

Die nächsten Aufführungen des Festivals „Tanz Bremen“: Heute um 19 Uhr gastiert die deutsch-amerikanische Company Howard Katz / Fireheart im Schauspielhaus. Zwei Stunden später präsentieren fünf Bremer TänzerInnen mit „Tanzlokal I“ im nahe gelegenen MOKS Kurzproduktionen. Am Freitag ist die Schweizer „compagnie drift“ um 20 Uhr im Schauspielhaus zu sehen, zeitgleich gibt es im MOKS weitere Kurzproduktionen Bremer TänzerInnen. Karten gibt es unter 35 36 37, Infos über die diversen Gruppen stehen im Internet unter www.theaterbremen.com