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Helm ab zur Schnellrasur

Düsseldorfig und in Weltrekordtempo, aber „mit erhobenem Kopf“: Die Berlin Capitals beenden die Eishockey-Saison im Halbfinale durch ein 1:4 gegen Meisterschaftsfavorit Kölner Haie

aus der KölnarenaBERND MÜLLENDER

Das kalte Puckspiel gilt unter Liebhabern quicker Körperertüchtigung als schnellster Mannschaftssport der Welt. Seit Dienstagabend ist er noch schneller geworden: So fix wie sich die Berlin Capitals durch zwei überraschende Siege gegen Geheimfavorit Krefeld Pinguine plötzlich für das Halbfinale qualifiziert hatten, so rasant schieden sie dort aus. Wahrscheinlich war es sogar Weltrekord für eine „best-of-five“-Serie: Ganze 79 Stunden und 20 Minuten brauchten die Kölner Haie für ihre drei Siege seit dem ersten Match am Samstagnachmittag.

Eigentlich war beim 1:4 (0:2, 0:0, 1:2) sogar schon zwei Stunden früher Schluss. Nach den beiden Vorab-Niederlagen am Wochenende (1:2 in Köln und 1:5 in Berlin) hätte nur ein Sieg im dritten Match die Caps am Leben gehalten. Doch das 0:2 nach knapp zehn Minuten war mehr als der Anfang vom Ende. Dreimal in Serie hatten übereifrige Berliner Gesellen wegen regelfremder Härte pausieren müssen, zweimal nutzte der Vorrunden-Erste Köln das souverän aus.

Noch heute werden die erbarmungslos abgeschossenen Kapitalen-Kappen darüber philosophieren, ob alles vielleicht anders gekommen wäre, hätte ihr Angreifer Anders Huusko nach 86 Sekunden unbedrängt vor dem Tor nicht Haie-Großkellenmann Andrew Verner angeschossen, sondern die Führung erzielt. Und sie werden immer noch, mit einigem Recht, über Schiedsrichter Gerhard Müller jammern.

Der reagierte nach einem Ellbogencheck des Capitals-Belgiers Mike Pellegrims am Kontrahenten Hlushko sekundenlang gar nicht und pfiff erst nach empörten Publikumsbeschimpfungen. Ersatzweise gab er gleich 5 Minuten plus Spieldauerdisziplinarstrafe. Als Pellegrims, zuletzt schon einmal von eben jenem Müller eisverwiesen, spottbeladen aus der gigantischen Arena schlich, hat er vermutlich geahnt, dass dies eine Restsaisondauerstrafe war. Keine Minuten später fiel das 2:0.

Die gut 50 Restminuten waren ausgedehntes Zeitspiel. Ein 2:0 einer Heimmannschaft ist im zeitgenössischen Eishockey – anders als früher, als deutlich mehr Tore fielen – schon ein beruhigendes Polster. Umso mehr, als die anresignierten Caps vor 16.044 Zuschauern (davon deutlich über 16.000 aus Köln) ihre wenigen Chancen zum Anschluss alle versiebten. Auch Fußballikone Mario Basler konnte da nicht helfen, der als staunender Edelfan (wie viel man sich in dieser Sportart bewegen muss!) hinter der Berliner Bank saß (sein Berater Roger Wittmann ist auch Capitals-Manager). Die Fans hätten ihn gern mit den Caps ausrutschen gesehen: „Eiszeit für Basler“ skandierten sie.

Berlins Teamfrisör konnte spätestens nach dem 0:3 in der 43. Minute (wieder in Unterzahl nach Johan Nörgrens dämlichem Foul bei eigenem Überzahlkonter) schon mal die Klingen schärfen: Die rituellen Play-off-Bärte dürfen ab. Passend war da das Bild, das Capitals-Coach Michael Komma benutzte: Die Seinen könnten „mit hoch erhobenem Kopf“ nach Hause fahren.

Das gilt nicht nur Rasur-unterstützend, sondern auch sportlich. Denn sie waren näher dran, als es die klaren Ergebnisse aussagen, besonders im ersten Match in Köln. Da hatten die Capitals zunächst lange geführt und bis vier Sekunden vor Ende gegen die laut Saisonstatistik Penalty-schwachen Haie ein 1:1 gehalten. „Das 4-Sekunden-Goal“, versuchte sich Kölns Coach Lance Nethery als Puckpsychologe, habe die Berliner „sicher viel Begeisterung gekostet“, wovon sie sich „moralisch vielleicht nie erholt haben“, so der smarte Kanadier.

Die Haie (laut Express „einfach zahnstark“), zuletzt vor langen sieben Jahren Liga-Champion, gelten jetzt als Finalfavorit, egal ob gegen die München Barons oder die Kassel Huskies (3. Spiel gestern nach Redaktionsschluss, Zwischenstand 2:0 für München). Wegen der B-Weltmeisterschaft in Kattowitz wartet die Endspiel-Serie 18 lange Tage, bis zum Start am Ostersamstag, 22. April. Bis dahin, so Coach Nethery, gilt es „den Rhythmus zu halten“, bei so kurios langer Pause nur deshalb kein Problem, weil der Gegner ein ähnliches Zeitloch hat.

Die Bärte der Kölner Cracks können durch die Pause umso ungestümer wuchern. Und die kölschen Fans, die die Eishockey-Saison ohnehin nutzen zur Überbrückung der karnevalsfreien Monate, ihre Gesänge noch intensivieren. Etwa das Lied vom „janz jewöhnlich Sackjesicht“, das stets erschallt, wenn ein Gegner auf die Strafbank muss. Und dazu den hundsgemeinen Verhöhnungssong des gemeinen Düsseldorfers. Düsseldorf? Natürlich: In Köln gilt Düsseldorf, auch wenn es die gute alte DEG abgewirtschaftet nur noch zweitklassig gibt, als Synonym für Gegnerschaft, spottwürdige Andersartigkeit, Dummheit. Im Eishockey und im Restleben.

Wie waren die Caps in Köln? Ziemlich düsseldorfig.

Tore: 1:0 Norris (6:43), 2:0 Millen (9:37), 3:0 Millen (42:58), 4:0 Murray (55:59), 4:1 Ulrich (57:25). Strafminuten: Köln 10 ; Berlin 15 + Spieldauer/Pellegrims

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