: Tunesiens Vater gestorben
Habib Bourguiba, der Tunesien 1956 in die Unabhängigkeit von der Kolonialmacht Frankreich führte, erlag 96-jährig einer Lungenentzündung
MADRID taz ■ Habib Bourguiba, der Vater der tunesischen Unabhängigkeit, ist tot. Der 96-Jährige erlag gestern Morgen in seinem Heimatort Monastir einer Lungenentzündung. Bourguiba gehörte zu den herausragenden Politikern des Maghreb. Anders als seinen Mitstreitern gegen die französische Kolonialherrschaft in Algerien gelang es dem jungen Anwalt, sein Land 1956 ohne Gewalt von Paris zu lösen.
Als 17-Jähriger trat der Sohn einer kinderreichen Familie der liberalen Partei Destour bei. 1934 leitete er die Abspaltung Neo-Destour, die statt einer Autonomie im Rahmen des französischen Protektorats die Unabhängigkeit anstrebte. Nach mehreren Gefängnisaufenthalten und anschließendem Exil kam er 1952 nach Tunesien zurück. In den Folgejahren handelte Bourguiba federführend den Übergang zur Unabhängigkeit am 20. März 1956 aus. Am selben Tag wurde Bourguiba zum ersten Regierungschef, ein Jahr später zum Präsidenten gewählt. Fortan herrschte er über das kleinste Maghreb-Land mit seiner sozialistischen Einheitspartei. 1975 ernannte er sich selbst zum Präsidenten auf Lebenszeit. In den ersten Jahren galt die Politik des „größten Kämpfers“ vielen fortschrittlichen Arabern als Vorbild. So beschnitt er das im Islam für Männer geltende Recht auf Vielehe und auf das Verstoßen einer unliebsamen Ehefrau. Kein anderes arabisches Land hat sich bis heute zu einem vergleichbaren Schritt durchringen können.
Das unabhängige Tunesien stand für Solidarität unter den arabischen Ländern. Bourguiba gewährte seinen algerischen Brüdern während des antikolonialen Krieges Unterstützung. Teile der Algerischen Nationalen Befreiungsarme (ANL) nutzten die Grenzregionen des Nachbarlandes als Rückzugsgebiet.
Bourguiba scheiterte jedoch an den sozialen Konflikten des rohstoffarmen Tunesien: 1978 verhängte „der Erzieher des Volkes“ den Ausnahmezustand gegen die Gewerkschaft. 1984 gingen Zehntausende gegen eine Brotpreiserhöhung auf die Straße. Bourguiba gab klein bei. Die Männer des Sicherheitsapparats verziehen ihm diese Schwäche nie. Sie sahen im alten Präsidenten ein Stabilitätsrisiko. Am 7. November 1987 putschte ausgerechnet der Premierminister von Bourguibas Gnaden, Zine el Abidine Ben Ali, gegen den Übervater. Offizielle Begründung: Bourguiba sei „geistig umnachtet“. Bei der Beisetzung Bourguibas wird das tunesische Volk erleben, wie ein Diktator um den anderen weint. REINER WANDLER
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