: Tanz den Johann Sebastian
■ Nur der Titel nervt: Mit „www.bach.de“ gibt Bremerhavens neuer Ballettchef Jörg Mannes einen sehenswerten Einstand
Dass Johann Sebastian Bach eine äußerst swingende Musik geschrieben hat, wissen wir spätestens seit Jacques Loussier und den Swingle Singers und deren Transponierungen der barocken Kompositionen in den Jazz. Bremerhavens neuer Ballettchef Jörg Mannes zeigt jetzt, wie überraschend leicht und geradezu selbstverständlich der Gestus der Musik ins Tänzerische übersetzt werden kann.
Zu einer Collage aus verschiedenen Bach-Stücken entwickelt er Figuren und Bewegungen, die um wenige Leitmotive kreisen: Die immer wiederkehrende und vielfältig abgewandelte Bewegung ist das Gehen. Auf der schmalen Bühne des Ersatzspielortes in der Kaserne Weddewarden lässt Jörg Mannes die fünf weiblichen und vier männlichen TänzerInnen des Ensembles langsam und fast natürlich schreiten. Aus dem Gehen werden Sprünge und Pirouetten, und mitten in den sanften Fluss gefällig schöner Bewegungen setzen die Brüche ein, die über ein langsames Auf-den-Boden-Rollen schließlich darin gipfeln, dass TänzerInnen sich ganz von der Bühne fallen lassen.
Mannes spannt im Wechsel zwischen Solo-, Paar- und Ensembletanz einen großen Bogen, der bei aller Vielfältigkeit der eingespielten 16 Stücke ein Grundthema hat: Zweimal wird in sehr verschiedenen Interpretationen die Kantate „Christ lag in Todesbanden“ angespielt, und das langsame „Komm, süßer Tod“ ist die Schlussmusik. Jörg Mannes verzichtet trotz des etwas penetrant-zeitgeistigen Titels „www.bach.de“ darauf, aus Bach einen bunten Abend zu machen. Der Choreograph unterläuft das Best-of-Bach-Modell nicht nur mit Interpreten wie Glenn Gould, sondern auch mit kleinen, irritierenden Dissonanzen in seiner Inszenierung.
Höhepunkt des Abends ist die Szene zur Motette „O Jesu Christ, meins Lebens Licht“: Eine Straßenszene als Rhythmus des Lebens, Menschen, die abgehen und auf der anderen Seite wiederkehren, die stehen bleiben, nieder gehen, liegen bleiben, rückwärts weiterkriechen. Die Bewegungen zeigen ein ununterbrochenes Fließen, das Leben geht weiter, es geht gleichgültig, sanft und zärtlich über Sterbende und Tote hinweg.
Bremerhavens neuer Ballettchef Jörg Mannes ist noch sehr vorsichtig. Er zwingt seine TänzerInnen, die er erst zu einer Truppe zusammenschweißen muss, nicht in hoch dramatische Extreme. Verhalten und sparsam zieht er aus ihnen heraus, was diese Musik in Körpern sichtbar macht, und das sieht so natürlich aus, als leuchte etwas von innen heraus, etwas, das in der Musik Johann Sebastian Bachs leuchtet. Hans Happel
Weitere Aufführungen am 3., 6. und 13.10. sowie am 29.11. und am 7. und 16.12. in der Carl-Schurz-Kaserne in Bremerhaven-Weddewarden
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