ex und pop (22): klangkulturstempel
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von DIETRICH ZUR NEDDEN

Ich erzählte es meinem Friseur. Dem fiel vor Schreck der Lockenwickler aus der Hand. „Der Schweizer Pavillon?“, fragte er fassungslos. Jawohl, der Schweizer Pavillon ist – und bevor es zu spät ist, sei das kaum originelle Urteil aufgeschrieben – ist der charmanteste, sogar bezauberndste Ort auf den gesamten 160 Hektar des Weltausstellungsgeländes. Vielleicht weil es kein Pavillon ist, sondern ein Labyrinth aus neun Meter hohen, gestapelten Holzbalkenwänden. Es gibt keinen einzigen Eingang, vor dem man warten müsste. Man kann nicht nicht hineinkommen. (Anders als in Wirklichkeit, wo die Schweiz für Ausländer im allgemeinen weniger offen ist.)

Es gibt drei exquisite Bars. Es gibt keine Bildschirme, keine Computer, keine Lautsprecher: Es wird nichts gezeigt, nichts ausgestellt. Die einzigen Mitteilungen sind Lichtschriften auf den Balken, Zitate aus Büchern, Volksliedern, Comics usw., projeziert ohne Quellenangabe. Fast pausenlos umherstreifende Musiker klöppeln und blasen irgendwelche Tonreihen. Schaut man ins 284-seitige Lexikon zum Pavillon, merkt man spätestens, dass Peter Zumthor und seine Mitkuratoren in äußerster Strenge ein Gesamtkonzept entwickelt haben, in dem die „Laufwege“ (B. Vogts) der Musiker und anderen Mitarbeitern, ihre Blicke sogar, in dem jede Einzelheit bis hin zur Sockenfarbe formalisiert sind, um, wie es heißt, eine „innere Spannung“ zu erreichen.

Im Titel des „Gesamtkunstwerks Klangkörper Schweiz“ und zuweilen in den Beschreibungen klingt das arg kulturhuberisch und verschroben, ist aber nichts anderes als definitiv überzeugend. Selbst dass der Pavillon zum Wallfahrtsort schnöseliger Architekten wurde, ist dem nicht abträglich. Wie alles auf der Expo kann man jetzt auch den Schweizer Pavillon erwerben. Als Ganzes (Preis nach Vereinbarung) oder en detail, zum Beispiel 7.050 Stück Normalbalken Lärche, 4 Meter 48 lang, insgesamt 630 Kubikmeter.

Aus dem indischen Pavillon, der wie eine Tennishalle aussieht, wird eine Tennishalle im Landkreis, der französische ein Sportartikelgeschäft, der papierne japanische vielleicht eine Zeitung, die man dann zum Preis von beispielsweise fünfzig Mark verkaufen könnte. Nur den deutschen Pavillon will niemand. Mit der Kiste aus krummem Glas und Laubsägearbeiten kann niemand etwas anfangen. Noch aber ist dort eine Menge los. Vor ein paar Tagen schlug ein älterer, durchaus nüchterner Herr den Clown nieder, der eigens engagiert ist, um den Wartenden mit allerlei Späßchen die Zeit zu verkürzen. Als Waffe benutzte der Mann eine Plastiktüte mit Inhalt: Ein Bierkrug war drin.

Der Deutsche ist aber sogar als Kind bereits hässlich. Von 52 Kindern, die sich einen Stempel im Pavillon Südafrikas für den beliebten Expo-Pass holten, haben nur zwei um den Stempel gebeten, gerade acht bedankten sich. Der Rest folgte dem Beispiel, nicht den Predigten der Erwachsenen, war maulfaul und ergo „schlecht erzogen“. „Eltern, schämt Euch!“, empörte sich das Expo-Journal. „Danke schön“, sagte ich dem Friseur, als die Dauerwelle saß. „Nichts zu danken.“