: Fußball zum Abgewöhnen
■ Vereinigung anonymer Werderaner versuchte sich erfolgreich am Sonntag – zumindest in der ersten Halbzeit – vom Virus zu befreien / 1:0 gegen Stuttgart
Das Leben ohne Sucht ist wie Schlaf ohne Traum, und in Bremen gibt es Menschen, die vor langer, langer Zeit einer ganz merkwürdigen Sucht erlagen: Sie gingen alle 14 Tage ins Weserstadion, um sich dort mit dem Erfolgserlebnis zu versorgen, das ihnen das Leben in der schweren Arbeitswoche vorenthielt. Ob schlecht oder gut gespielt, unter Guru Otto wurde gewonnen, Werder und Erfolg, das gehörte zusammen wie Koks und Nase.
Dann erlag der Guru den Verlo-ckungen und Folgen der hinlänglich erforschten Geldsucht, schlug seine Userzelte in München auf und hinterließ in Bremen eine Anhängerschar, die erst ratlos und dann mit deutlichen Abhängigkeitserscheinungen reagierte: Unmotivierte Aggressivität nach sachlichen Anmerkungen („Ein Sieg würde mal wieder gut tun“), dann wieder unerklärliche Reaktionsverweigerung auf gut gemeinte Scherze („Willst Du Werder oben sehen, musst Du die Tabelle drehen“). Die Erfolgssüchtigen, bekannt auch unter der Bezeichnung „Dauerkarteninhaber“, wechselten zwar die Gurus (Holländer, Zoni, Ex-Hamburger etc.), aber die alte Wirkung wollte sich nicht mehr richtig einstellen. Mal ein kurzfristiger Flash, ein flüchtiges High, die Dosis wurde gesteigert (Uefa-Cup), aber mehr als ein paar Wunder von der Weser wollten nicht gelingen.
Wenn man durch Steigerung der Dosis nichts mehr erreicht, dann ist es an der Zeit, sich von der Sucht zu befreien und so soll sich zu Beginn dieser Saison die Vereinigung Anonymer Werderaner gegründet haben, die darauf setzte, dass die Mannschaft ab sofort nicht nur erfolglos, sondern auch noch schlecht und unattraktiv Fußball spielt, damit sie als Fußballkunden dann endlich von der sündhaft teuren Werderdauerkartensucht geheilt würden.
Und wer an diesem Totensonntag im Weserstadion war, der hatte wenigstens kurze Zeit die Hoffnung, dass all die Werdersüchtigen alsbald komplett entwöhnt sein könnten und fürderhin ihre hart ersparten Groschen für sinnvolle Dinge ausgeben. Nach 45minütiger Intensiv-Behandlung der Abhängigen durch die grün-weißen Akteure, ertönten die bislang heftigs-ten Entzugserscheinungsbegleitschreie, die je durch das Weserstadion gehallt sind. Freunde, die sich einst im Werder-Taumel in den Armen lagen, sangen (nach der Melodie von Anton-in-Tirol) spontan die umgedichtete neue Vereinshymne: „Wir sind grün und wir sind weiß, wir spiel'n den allerletzten Scheiß“.
Werdersucht-Experten diagnostizierten in der Pause, dass man eigentlich auf der Stelle alle als geheilt nach Hause schicken könne. Doch leider gilt immer noch: Wer für zwei Halbzeiten gezahlt hat, guckt auch zwei, und so wurden die Anonymen Werderaner durch einen 'Schuss aus dem Nichts' (VfB-Trainer Rangnick) kurzfristig in altes Otto-Junkietum zurückbefördert.
Wie heftig dieser Rückfall sich auswirkte, konnte anhand heimlich aufgezeichneter Probandengespräche in diversen Vereinslokalen belegt werden: „Nur noch sechs Punkte hinter Bayern!“ Diese Worte, fern jedweder Ironie gesprochen, belegen, wie endlos so ein Entzugsprozess sich hinziehen kann.
Wenn Anonyme Werderaner wirklich eines Tages komplett tro-cken und weserfern leben wollen, dann empfiehlt sich für den Entzugsleiter Schaaf, nun auch noch das brasilianische Überraschungsmoment und die Andenspielkultur aus der Mannschaft zu entfernen, die Wiedener-Anteile zu erhöhen und auf die gerontologische Wirkung der Zusatzstoffe Eilts und Herzog zu setzen oder ganz alternativ: elf Einheiten vom Fußballplacedo Maximow zu verabreichen. Dieses Placebo entspricht in Sachen Wirksamkeit der sportphilosophischen Erkenntnis des sonntäglichen Kicks zwischen Werder und dem VfB: „Man kann ja vorher nicht wissen, wo der Ball hin will!“
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