: Kehrtwende in der Biomedizin
Die neue Gesundheitsministerin will kein Fortpflanzungsmedizingesetz. Dafür ist jetzt geplant, den Gencheck für In-vitro-Embryonen zuzulassen. Auch die Entscheidung, ob embryonale Stammzellen importiert werden dürfen, steht noch aus
von WOLFGANG LÖHR
Mit dem Wechsel an der Spitze im Gesundheitsministerium weht dort jetzt ein anderer Wind. Zuerst sorgte die neue Staatssekretärin, Gudrun Schaich-Walch, für Unruhe: „Es wird Veränderungen geben“, sagte sie, kaum dass sie im Amt war, und kündigte eine neue Debatte im Umgang mit der Gentechnik und Fortpflanzungsmedizin an. Befürchtungen, dass jetzt die kritische Auseinandersetzung über die Grenzen der Biomedizin, die die zurückgetretene grüne Gesundheitsministerin Andrea Fischer im vergangenen Jahr initiiert hatte, zum Erliegen kommt, wies Schaich-Walch zurück.
Doch mittlerweile ist klar, es wird nicht nur eine Akzentverschiebung in der Biomedizin geben. Anders als ihre Vorgängerin sieht die neue Gesundheitsministerin Ulla Schmidt „keinen aktuellen Handlungsbedarf“ für ein neues Fortpflanzungsmedizingesetz. Die Eckpunkte für das neue Gesetz, die Andrea Fischer noch kurz vor Jahreswechsel vorlegte und mit dem das therapeutische Klonen und die Forschung mit embryonalen Stammzellen verboten werden sollte, verschwindet erst einmal in der Schublade.
Mit dem Rücktritt von Andrea Fischer sind jetzt alle drei federführend bei der Biomedizin beteiligten Ministerien – Gesundheit, Forschung und Justiz – in SPD-Hand. So kann Bundeskanzler Gerhard Schröder seine im Dezember angekündigte liberalere Politik – „weniger ideologische Scheuklappen“ und mehr auf die ökonomischen Vorteile achtend – in der Biomedizin fast ungestört von Politikern der Grünen umsetzen. Wolf-Michael Catenhusen, Parlamentarischer Staatssekretär im Forschungsministerium, kündigte bereits an, dass es jetzt darum geht, „auch der Wissenschaft in der Diskussion den gebührenden Platz einzuräumen“. Eine Anspielung darauf, dass auf dem im vergangenen Jahr von Fischer organisierten Symposium zur Präimplantationsdiagnostik zahlreiche Kritiker der neuen Biotechnologien als Referenten vertreten waren; sehr zum Missfallen der etablierten Wissenschaft. Auch die Justizministerin Herta Däubler-Gmelin war, wie jetzt zu hören ist, mit dem Vorgehen Fischers nicht einverstanden. „Wir waren immer der Auffassung, wenn ein Fortpflanzungsmedizingesetz gebraucht wird, dann machen wir das gemeinsam“, sagte die Ministerin vor wenigen Tagen auf einer Veranstaltung der Evangelischen Akademie in Berlin. „Diese Linie wurde von Ministerin Fischer verlassen.“
Alle drei SPD-Ministerien sind sich einig: Ein Fortpflanzungsmedizingesetz ist derzeit nicht notwendig. Dabei stehen wesentliche Entscheidungen an, will die Politik es nicht wieder einmal den Wissenschaftlern überlassen zu bestimmen, wo die ethischen Grenzen in der Biomedizin zu ziehen sind. So steht nach wie vor die Forderung der Bundesärztekammer (BÄK) im Raum, den Gencheck von Reagenzglas-Embryonen, die Präimplantationsdiagnostik (PID), zuzulassen. Anfang vergangenen Jahres hatte eine Kommission der Bundesärztekammer detaillierte Empfehlungen für eine beschränkte Anwendung der umstrittenen Embryonenselektion vorgelegt. Bei einigen wenigen, besonders schweren Erbkrankheiten soll es erlaubt sein, im Reagenzglas befruchtete Eizellen einer Genanalyse zu unterziehen, bevor sie einer Frau übertragen werden. Stellt sich dabei heraus, dass sie Träger des krankheitsauslösenden Gens sind, sollen sie verworfen werden. Umstritten ist, ob diese Methode nach dem Embryonenschutzgesetz überhaupt zulässig ist. Die BÄK ist der Meinung, dass die PID auch ohne Gesetzesänderung anwendbar ist.
Nach einem Treffen mit Ärztevertretern, zu dem der Kanzler geladen hatte, kündigte Schmidt die neue Linie an. Im Unterschied zu Fischer, die sich gegen die Einführung von PID stellte, lehnt die neue Ministerin die Methode nicht kategorisch ab. Sie folgt damit der Vorgabe des Kanzlers, der in einem Grundsatzartikel forderte, es müsse darüber diskutiert werden, „ob es für uns Gründe gibt, die in vielen EU-Ländern bereits praktizierte Präimplantationsdiagnostik in Deutschland zuzulassen“. Sollte sich die Rechtsauffassung der BÄK-Kommission durchsetzen, könnte der Gencheck auch ohne Änderung des Embryonenschutzgesetzes eingeführt werden.
Eine ähnliche Entwicklung – Entscheidungen fällen durch Aussitzen – zeichnet sich auch beim therapeutischen Klonen ab. Der Kanzler und mehrere seiner Minister haben sich in der Öffentlichkeit zwar strikt dagegen ausgesprochen, zum jetzigen Zeitpunkt das Klonen von embryonalen Stammzellen zu erlauben, die Bundesregierung setzt stattdessen auf die Forschung mit so genannten adulten Stammzellen.
Nach dem Embryonenschutzgesetz ist die Herstellung von embryonalen Stammzellen verboten. Eine winzige Lücke gibt es jedoch: Die Einfuhr entsprechender Stammzelllinien aus dem Ausland ist nicht untersagt. Zwar hat Justizministerin Däubler-Gmelin schon angekündigt, dass über diese „Lücke“ eine breit angelegte Diskussion geführt werden müsse. Das aber wird vermutlich zu spät sein. Denn bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) liegt seit längerem schon ein Förderantrag des Bonner Wissenschaftlers Oliver Brüstle vor, der mit importierten Stammzellen arbeiten möchte. „Eigentlich sollte die Entscheidung über den Antrag noch diese Woche fallen“, sagte DFG-Sprecherin Eva-Maria Streier. Das wird jetzt wohl doch nicht geschehen, doch spätestens im Mai werde sie vorliegen.
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