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Voodoo für Fortgeschrittene

Von finsteren Mächten, anonymen Flüchen und anderen Begleitsymptomen des Alltags

Immer mehr Menschen bedienen sich klammheimlich dieser unlauteren Mittel

Voodoo ist, fachkundig angewandt, eine ausgesprochen spaßige Sache. Hier ein Pülverchen, da ein Zwinkern in Richtung des sachbearbeitenden Schutzgeistes – zack gewinnt man bei Günther Jauch eine Million, obwohl man Hochschulprofessor ist. Oder hetzt seinem Nachbarn die Steuer und eine zickige Freundin an den Hals. Und das zinsfrei und ohne ewig währende Seelenverschuldung.

Doch ganz so unproblematisch ist die Sache nicht, denn im Zeitalter fortgeschrittener Fluchzeugtechnologie ist es, trotz Fangschaltungen und Telefondisplay, ungeheuer schwierig, einen Fluch zum Urheber zurückzuverfolgen. Das war früher einfacher. Als ich klein war, wurde ich zum Beispiel von einem Kleinstadtunikum namens Hitler-Oma auf offener Straße verflucht und angespuckt, weil mein Vater ein Sozialdemokrat war. Daraufhin musste ich dann vier Jahre lang eine Grundschule besuchen. Aber ich wusste wenigstens, wem ich das zu verdanken hatte!

Heute geht es dagegen in der Fluchszene wesentlich anonymer zu. Per SMS, Bärbel Schäfer oder mittels einer fertig gekauften Voodoo-Puppe, die komplett mit Stechplan und Nadeln geliefert wird, kann man praktisch jeder Person anonym Fluch und Schaden zufügen, so man ein Haar, eine Visitenkarte oder die Handynummer der entsprechenden Person besitzt. Auch von weitem. Und immer mehr Menschen bedienen sich klammheimlich dieser unlauteren Mittel.

Wie sonst will man etwa erklären, dass bei meiner Freundin Frau Passig der Vorname immer richtig geschrieben wird, aus mir dagegen regelmäßig eine „Ina“, „Isa“ oder Schlimmeres gemacht wird? Eindeutig, es muss sich um einen bösen Fluch handeln.

Eine andere Freundin von mir hat es sogar noch härter getroffen. Sie verliebte sich nacheinander in drei Olivers. Eine schlimme Sache. Weniger gefährlich ist dagegen der Schreibutensilienfluch, unter dem Frau Passig leidet: Dabei verwandeln sich über Nacht alle schwarzen Stabilostifte auf ihrem Schreibtisch in rote. Oder der Versandhandelsfluch, mit dem meine Cousine geschlagen ist: Von finsteren Mächten getrieben, bestellt sie sich bei Quelle alles, was im Katalogtext mit dem Wort „trendig“ beschrieben ist. Selbst wenn dabei Teddybärenapplikationen im Spiel sind.

Sich selbst von einem solchen Fluch zu heilen ist schwierig, zumal, wenn man den Urheber nicht kennt. Oft bedarf es dabei der beherzten Hilfe guter Freunde oder schlechter Wortspiele. Ich selbst etwa gehe gegen den Namensfluch an, indem ich gequält sage: „Sie wissen schon, wie die gleichnamige Terrororganisation, haha“, oder, wenn es sich bei meinem Gegenüber um einen Altphilologen handelt, auch schon mal: „Sie wissen schon, wie in dies irae, haha.“ Das hilft ein bisschen. Der Freundin mit dem Oliverproblem stellte ich einen Andy vor, dessen wohlgestalter Körper den Bann binnen kürzester Zeit aufhob. Meiner Cousine schenke ich immer wieder Gutscheine für eine Typberatung, die anzunehmen sie aber hartnäckig verweigert. Stattdessen ordert sie weiter Pullover mit Tierapplikationen. Und trägt sie ungeniert in aller Öffentlichkeit. Ein harter, starker Fluch ist das!

Was Frau Passig und die Rotstifte angeht, weiß ich allerdings auch nicht so recht. Vermutlich handelt es sich gar nicht um einen Fluch. Die Begleitsymptome sprechen viel eher dafür, dass sich eine ruhelose Korrektorenseele in ihrer Milz eingenistet hat, die nun versucht, vollkommen Besitz von ihr zu ergreifen. „Unwahrscheinlich!“, höre ich nun diejenigen rufen, die Frau Passig nicht kennen. „Genau!“ Erschallt es dagegen aus Frau Passigs Milz. Seltsam – aber so steht es geschrieben. IRA STRÜBEL

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