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Aschenputtel im Dalì-Wunderland

■ Bremerhavens neuer Ballettchef Jörg Mannes hat Serge Prokofjews „Cinderella“ in ein wunderbar fröhliches und traumhaft schönes Märchen verwandelt

Ein kleines Theaterwunder wurde jetzt in Bremerhaven geboren: Es waren nicht nur die 14 Babys, die am Ende wie große, langsame Tropfen vom Bühnenhimmel regnen, es war nicht nur das über die gesamte Bühne schwingende Riesenpendel in Form eines Auges, das die Mitternachtsstunde anzeigt, es ist das ganze, traumhaft schöne, märchenhaft verspielte Bild, in dem der neue Ballett-Chef Jörg Mannes den abendfüllenden Klassiker „Cinderella“ ansiedelt. So leicht und unverkrampft, so witzig und ironisch abgefedert wie die Bilder aus der Dalì-Ecke (Bühne: Susanne Sommer), so weich und lasziv treten die 14 TänzerInnen (neun Frauen und vier Männer) auf.

Mannes verzichtet in seiner Einstudierung des Prokofjew-Klassikers auf die strengen Formationen des klassischen Spitzentanzes, er lässt allen etwas Individuelles. Die koketten Damen am Hof des Prinzen tragen Rot, aber Farbe und Kleidung variieren von Frau zu Frau (Stephan Stanisic hat die gut abgestimmten Kostüme entworfen). Und wenn die Frauen sich kokett, gelangweilt, enttäuscht oder gierig zu Gruppenbildern formen, behält jede ihren eigenen Kick.

Schon das Eingangsbild ist eine Überraschung: eine Bühne auf der Bühne, ein Zimmer, das bei näherem Hinsehen die Gesichtszüge einer Frau andeutet. Der geöffnete Vorhang umrahmt den Raum wie die Haare das Gesicht, zwei Gemälde an der Rückwand lassen die Augen erkennen, das knallrote Sofa die üppig geschwungenen Lippen, eine dekorative Schrankuhr krönt die Nase. Es sind die Gesichtszüge der bösen Stiefmutter, die Mannes gar nicht auftreten lässt.

Auf dem roten Sofa sitzen Aschenputtels alberne Halbschwestern in schwarzer Unterwäsche, blättern in Modejournalen und lassen sich von Aschenputtels gutmütigem Vater (Bruno Mora) die neuesten Klamotten mitbringen. Sie selber tritt im blauen Kittel auf, ihren Traummann legt sie sich als Bravo-Starschnitt zurecht, bis die männliche Fee – Llewelyn Malan mit schlangenhaft ausgreifenden Armen – in ihr Leben tritt.

Felecity Nairn als Cinderella-Aschenputtel versucht sich vorsichtig in ersten großen Bewegungen. Der Schlangenmann schenkt ihr einen weißen Hosenanzug. Mit dem sticht sie beim Prinzen alle anderen Frauen aus. Der fürstliche Ballsaal ist eine Säulenhalle (à la De Chirico), der sehnsüchtig erwartete Prinz schwingt sich am Seil in den Raum herein. Das nun verwandelte Aschenputtel erscheint auf einer Freitreppe, die die Form eines hochhackigen Schuhs hat, eine zerfließende Uhr und eine Schublade in der Säulenwand zitieren Dalì.

Neben den sanft-unfertigen Bewegungen Aschenputtels tritt Mathias Brühlmann als gefestigter, strahlender Prinz mit raumgreifenden Sprüngen und schnellen Pirouetten auf. Wenn er nach langer Suche mit Aschenputtels verlorenem Schuh in der Hand die Reihen der Füße zeigenden Frauen abschreitet und endlich auf die richtige stößt, dann findet Jörg Mannes ein ebenso einfaches wie starkes Bild: Die beiden Liebenden stehen sich minutenlang nur gegenüber, von der männlichen Fee umtanzt, im Hintergrund tiefblauer Himmel über einer Landschaft mit Zypressen. Vor diesem Blau trägt der Prinz seine Cinderella auf hocherhobenen Armen nach vorn, bis beide ineinander versinken, so lange, bis der Baby-Regen einsetzt.

Hartmut Brüsch dirigiert mit feiner Handschrift für das stimmungshaft Malerische das Städtische Orchester, der junge Ballett-Chef Jörg Mannes bebildert Prokofjews Musik wie ein Zauberer – ein Zauberer der Weichheit, der klassisches Ballett und modernes Tanztheater mischt, der konventionelle Formeln nicht aufbricht, sondern zerfließen lässt und den märchenhaften Ton zum Grundmuster seiner Inszenierung macht.

So ein wunderbar fröhliches Märchen ward in Bremerhaven seit langem nicht gesehen.

Hans Happel

Weitere Aufführungen: 23. und 29.3. um 20 Uhr, 6. und 10.4. um 20 Uhr, 14.4. um 19.30 Uhr.

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