: Leute, lasst das Scheitern sein . . .
betr.: „Irrweg einer Moralistin“, „Die Terroristin Meinhof kommt nicht mehr vor“, taz vom 9. 5. 01
Der Tod von Ulrike Meinhof ist bis heute nicht geklärt. Ungeachtet dessen leitet Kraushaar von der Annahme, Meinhof habe Selbstmord begangen, ab, ihr durchaus bewusster Schritt von Protest zum bewaffneten Widerstand sei nur die „Selbstverleugnung einer Intellektuellen“ gewesen, „negatives Exemplum eines „tödlichen Scheiterns“. Das hieße ja: Wer immer an die Grenzen staatlicher Macht gerät, inklusive Isolationshaft und Kontaktsperre, der muss das per definitionem unter eigenes Scheitern verbuchen. Also, Leute, lasst das Scheitern sein, kehrt ins Reich der Kolumne heim. ECCO MEINEKE, München
[...] Ich bin bestimmt kein Anhänger der These, wonach eine Gesellschaft in jedem Falle verbessert werden kann, wenn man nur die „richtige“ Auswahl ihrer Repräsentanten umlegt. Sicher, man kann Ulrike Meinhof von mir aus alles Mögliche vorwerfen. Sie aber in Bausch und Bogen zu verdammen, so wie das Herr Kraushaar tut, in ihr nichts mehr sehen zu wollen als eine kläglich gescheiterte Existenz, das geht mir eindeutig zu weit.
[...] Bewundernswert an Ulrike Meinhof finde ich zum Beispiel die konsequente Weigerung, sich mit der Ungerechtigkeit des Systems abzufinden, den Mut, den sie aufbrachte, ihre Ideen von einer Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse umzusetzen. Aber das kann der Herr Kraushaar anscheinend nicht nachvollziehen, in einer Zeit, in der Unverständnis erntet, wer außer Fun und Money auch noch anderes im Kopf hat. [...]
MATTHIAS GRÜGER, La Chaux-de-Fonds, Schweiz
[...] Ulrike Meinhof hat schon recht gehabt mit ihrer Warnung, der Marsch durch die Institutionen sei opportunistisch, konformistisch, aussichtslos. Wo er endet, ließ sich beobachten, als (nicht nur natürlich) die Grünen und die SPD dafür trommelten, zum dritten Mal in einem Jahrhundert Belgrad zu bombardieren. Das ist für mich „ein negatives Exemplum“ (Kraushaar), nicht das Leben und Wirken von Frau Meinhof.
Zur befriedigenden Beerdigung ihrer Ziele und Ansichten gehört dann natürlich, dass Kraushaar großzügig ignoriert, was der offizielle Obduktionsbericht zum Tod Ulrike Meinhofs feststellt; dass sie nämlich erst nach ihrem Tod (der durch Abdrücken einer Hauptschlagader verursacht war) aufgehängt worden sei. Zu den gleichen Ergebnissen kam ein international besetzter Untersuchungsausschuss. Aber der gehört für Kraushaar sicherlich zu den „manchen“, die „immer noch ihre Zweifel haben“ an der gängigen und nun endlich auch taz-Version des Vorgangs.
JENS SCHRÖDER, Dresden
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