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rot-rot-grünAufbruch zu neuen Konflikten

Berlin nach den Neuwahlen

Die Zeichen stehen auf Neuwahl. Doch stehen sie auch auf Neubeginn? Zumindest die CDU hat ihre Rolle rückwärts längst begonnen. Bereits gestern stellt CDU-Fraktionschef Frank Steffel das erste Wahlplakat vor. Darauf zu sehen sind Walter Momper und Wolfgang Thierse sowie ein Zitat von 1999: „Eine Kooperation mit der PDS kommt nicht in Frage.“

Doch das war erst der Anfang. Zwölf Jahre nach dem Fall der Mauer wird die CDU wieder den Kalten Krieg erklären. Und 40 Jahre nach dem Bau der Mauer, am 13. August dieses Jahres, wird die kalte Kriegserklärung ihren Wahlkampfhöhepunkt erleben. Wer hat uns verraten? Genau, die Sozialdemokraten! Was einst der KPD als Beweis der Sozialfaschismusthese recht war, ist der CDU nun als Beleg für den Verrat am antikommunistischen Kampf billig. In den Westberliner Schützengräben geht man wieder in Stellung.

Doch das Ganze entbehrt nicht einer gewissen Komik, sind dem Lagerwahlkampf doch längst die Lager abhanden gekommen. War es nicht gerade die CDU des Eberhard Diepgen, die sich in den vergangenen Jahren zur Sozialstaatspartei gemausert hatte und für Neuverschuldungen plädierte? Ist es nicht gerade die Wählerklientel der CDU, die zusätzlicher Bildungs- und Qualifizierungsprogramme bedarf? Tempelhof und Reinickendorf sind schließlich nicht wirklich die Heimatbezirke der New Economy oder der neuen Entscheider.

Zehn Jahre große Koalition waren auch zehn Jahre erstaunlicher Veränderungen in der Parteienlandschaft. Je mehr sich die SPD der neuen Mitte zuwandte, je mehr die Bündnisgrünen ihre Rolle als „Metropolenpartei“ entdeckten, desto mehr sorgte sich die CDU auch um die Verlierer der Modernisierung. Ihr Pech war nur, dass sie mit Eberhard Diepgen und Klaus Landowsky allzu lange einem Führunsgduo aufgesessen ist, das alles andere verkörperte, nur nicht Aufbruch und Tradition. Was man in Bayern höchst erfolgreich als „Mischung von Laptop und Lederhose“ inszeniert, landete bei der Hauptstadt-CDU immer wieder beim „System Westberlin“. So war das vor der Bankenkrise, so war es mit der Bankenkrise, so wird es auch im Wahlkampf sein.

So gesehen ist das Ende der 16-jährigen Ära Diepgen ein Befreiungsschlag, der der Ablösung von 16 Jahren Helmut Kohl in nichts nachsteht. Mit Diepgen war Berlin mehr Kiez als Metropole, ein Umstand, der vor allem den Kanzler immer wieder zur Weißglut brachte. Was aber wird Berlin mit Klaus Wowereit?

Gewiss, der Kredit, den man einer Regierung Wowereit (oder gar einem Regierenden Gregor Gysi?) zugestehen wird, könnte größer nicht sein. Von einigen Ausnahmen abgesehen, wird der neue Senat unbelastet ins Geschäft gehen; und ein entschiedenes Ausmisten des Westberliner Filzes wird der neuen Koalition viele Sympathien einbringen. Mit einer Regierungsbeteiligung von Grünen und PDS sind die Chancen tatsächlich so gut wie nie, das System Westberlin zu beerdigen. Das alleine ist schon Grund genug, der Koalition Erfolg zu wünschen.

Doch der Kredit ist eben nur ein politischer. Gerade weil Klaus Wowereit oder Gregor Gysi höchst glaubwürdige Totengräber des Systems Diepgen sein würden, wären sie ebenso glaubwürdige Sparkommissare. Rot-Rot-Grün bedeutet gerade nicht die Neuauflage des Sozialismus in Berlin, sondern mehr noch als bisher ein Spardiktat – nicht nur gegenüber den Subventionsempfängern in Bauwirtschaft und schwarz-roten Parteikreisen, sondern auch gegenüber den „Wärmestuben“ im öffentlichen Dienst, ob im West- oder im Ostteil der Stadt.

Die Vorschläge liegen auf dem Tisch. Strukturelles Sparen heißt nach Ansicht von SPD wie PDS auch weiter Ausgaben kürzen. Das geht von der Privatisierung landeseigener Betriebe bis hin zu betriebsbedingten Kündigungen im öffentlichen Dienst. Dass die Koalition damit nur die Hypotheken abbaut, die ihr die Vorgängerregierungen an die Hand gegeben haben, dürfte schnell dem Vergessen anheim fallen. Wenn es ans Eingemachte geht, fallen Schuld und politisches Gedächtnis nur noch selten ins Gewicht.

Die neuen Konflikte stehen also auf der Tagesordnung: Ein rot-rot-grüner Sparsenat wird nicht nur die ÖTV, die GEW oder die neue Dienstleistungsgewerkschaft gegen sich aufbringen, sondern auch die Basis der sie tragenden Parteien. In Marzahn wird man feststellen, dass auch eine Sozialsenatorin der PDS die eigene Klientel nicht ausnehmen wird. In Kreuzberg werden es die grünen Wähler sein, die sich gegen Kürzungen bei Jugendprojekten zur Wehr setzen.

Der soziale Friede in der Stadt könnte mit einem neuen Bündnis weitaus gefährdeter sein als unter dem System Diepgen/Landowsky. Die Auswirkungen der Bankenkrise werden schließlich erst in den nächsten Jahren in ihrer ganzen Auswirkung zu spüren sein – wenn die Schwimmbäder noch früher schließen und die Gruppengrößen der Kitas noch weiter erhöht werden. Von einer CDU-SPD-Koalition hätte man das nicht anders erwartet, doch ein rot-rot-grünes Bündnis kämpft auch gegen enttäuschte Hoffnungen. Die neue Koalition ist nicht nur ein politischer Aufbruch, sie ist auch ein Aufbruch zu neuen Konflikten.

Aber da ist ja noch die politische Symbolik. Regenbogenfahnen werden bald überall wehen, Abschiebungen werden ein Fall für neue Härtefallkommissionen, Bürgerrechte groß geschrieben. Klaus Wowereit und Gregor Gysi und eben nicht mehr Eberhard Diepgen und Klaus Landowsky repräsentieren die Hauptstadt. Und sie repräsentieren sie anders. Das wird die einzige Chance eines neuen Bündnisses sein: die Politik einer Sparkoalition mit den Reformhoffnungen einer Bürgerrechtskoalition zu verbinden.

Zehn Jahre nach dem Umzugsbeschluss des Bundestages wird Berlin nun wirklich zur Metropole. Das ist zwar spannend, aber gemütlich wird es bestimmt nicht. UWE RADA

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