: So instinktiv wie Gerd Müller
Claudia Müller (27) stakst zwar wie ein Storch im Salat über das Spielfeld, aber im Auftaktspiel der Frauen-Europameisterschaft hat die Spätentwicklerin zum 3:1-Sieg der deutschen Mannschaft über Schweden mit zwei Toren beigetragen – wieder einmal
aus Erfurt MATTHIAS KITTMANN
Da steht sie so da, ganz entspannt, einen Fuß locker über den anderen gelegt, umringt von 20 Journalisten – und fühlt sich noch nicht einmal unwohl dabei. Charmant plaudert sie über Job und Fußball und macht sich über ihre eigene Karriere lustig: „Na ja, ein junges Talent war ich nicht unbedingt. Als ich mit 22 Jahren zum ersten Mal das Nationaltrikot an hatte, hat Birgit Prinz im gleichen Alter schon ihr 80. Länderspiel gemacht.“
Deutsche Kickerinnen können plötzlich richtig locker sein. Claudia Müller macht’s möglich und kam wie gerufen.
Frauenfußball ist üblicherweise für Reporter kein Vergnügen. Da kann vorher das tollste Spiel gelaufen sein, und dann kriegt man aus den jungen Damen kaum einen Satz heraus. Ein bisschen Bammel war da also vor dieser EM erlaubt. Schließlich ist PR-Talent nicht jedem in die Wiege gelegt, schon gar nicht, wenn auf einer Mannschaft, von der ohnehin der Titel erwartet wird, der Druck lastet, gleich im ersten Spiel gegen den wohl schwersten Gegner der Gruppe, Schweden, gut auszusehen.
So erstarb dann auch die La-Ola-Welle der frohgemuten 10.000 Zuschauer zum Auftakt in Erfurt in einem entsetzten Schrei, als die munteren Schwedinnen in Führung gingen. Einer der möglichen Stars dieser WM, die 22 Jahre alte Hanna Ljungberg, überraschte in der 14. Minute die deutsche Torfrau Silke Rottenberg. Doch die deutsche Mannschaft schüttelte bald Schock und Nervosität ab. Das Duo Birgit Prinz und Pia Wunderlich vom Meister 1. FFC Frankfurt machte über außen Druck. In solchen Momenten wirkte die schwedische Abwehr verwundbar.
Von der späteren Matchwinnerin Claudia Müller (WSV Wolfsburg) war bis dahin noch nicht viel zu sehen. Mit ihrer Körpergröße von 1,80 Meter und ihren langen Beinen wirkte sie wie der Storch im Salat. Als sie zu ihrer Zeit beim FFC Frankfurt vor drei Jahren mit Monika Meyer stürmte, hieß es in den Frankfurter Zeitungen: „Müller und Meyer spielen wie Hinz und Kunz“, bevor die beiden dann im nächsten Spiel plötzlich fünf Tore schossen und Meister und Pokalsieger wurden.
Nicht nur ihr Name, auch ihre Spielweise legt einen Vergleich mit Gerd Müller nahe. Sie aber sagt: „Ich hoffe, ihr meint damit nicht die Figur.“ In dieser Hinsicht sind die beiden weit voneinander entfernt. Dafür ist der Ball da, wo Claudia Müller ist – oder wie sie es sagt: „Ich muss nun mal da hin, wo der Ball ist.“ Dass der noch von Doris Fitschen abgefälschte Freistoß Maren Meinerts ausgerechnet auf Müllers Kopf landen würden, konnte keiner ahnen – außer ihr vielleicht.
Dieses 1:1 noch vor der Halbzeit beruhigte die Gemüter, bewog die Schwedinnen aber keineswegs, sich aufzugeben. In der 50. Minute legte Ljundberg zurück auf Malin Moström, die an Silke Rottenberg scheiterte, fünf Minuten später fiel Ljundberg im Strafraum, aber der Pfiff blieb aus. Später gab Doris Fitschen zu: „Keine Frage, ich habe sie erwischt.“ Und in der 60. Minute kratzte Sandra Minnert den Ball von der Linie. Bundestrainerin Tina Theune-Meyer hatte genug gesehen und wollte auswechseln: ausgerechnet Claudia Müller. Irgendwie ergab sich keine Gelegenheit. Stattdessen stocherte Müller mit ihren langen Beinen zwischen der schwedischen Verteidigerin Karolina Westberg und Torfrau Caroline Jönsson herum, und der Ball war im Tor.
„Ein typisches Müller-Tor“, befand Theune-Meyer später, und auf die Frage, was dass denn sei, kam als Antwort: „Sie macht Tore, wo gar keine Torchance ist.“
Im Stadion riefen sie: „Claudia, wir lieben dich“, und die so Verehrte genoss es, ohne sich darin zu sonnen, auch wenn ihre Tore und das abschließende 3:1 durch Maren Meinert dafür sorgten, dass die deutsche Mannschaft vor dem Spiel gegen Russland am Mittwoch in Jena die Halbfinalqualifikation schon fast geschafft hat.
Claudia Müller zeigte nach dem Spiel die Gelassenheit und Reife einer Frau, die als „Spätberufene“ mit 27 Jahren nichts mehr beweisen muss. Die Einser-Abiturientin hat als Versicherungskauffrau eine guten Job, auch wenn die Kollegen zuletzt angesichts der vielen Lehrgänge und Länderspiele schon lästerten: „Ach, Frau Müller, auch mal wieder da?“
Eine Profikarriere in den USA wie die Teamkolleginnen Fitschen, Meinert und Wiegmann ist für sie daher kein Thema. Fußball spielt sie aus purem Spaß. „Früher haben mir die Trainer gesagt, mit 27 Jahren ist man im besten Fußballeralter“, sagt sie, „und ich muss sagen: Es stimmt.“
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