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Kopfüber auf Platz zwei

Roberto Laiseka gewinnt die 14. Etappe der Tour de France, Lance Armstrong bleibt auch in den Pyrenäen Spitze und Jan Ullrich erobert sich mit gelegentlich tollkühnen Angriffen die Herzen der Fans

aus Luz-ArdidenSEBASTIAN MOLL

Als ein Radfahrer mit heißem Blut galt Jan Ullrich bislang nicht gerade. Das Phlegma, mit dem er sich im vergangenen Jahr der Niederlage gegen Lance Armstrong gefügt hatte, die Gleichgültigkeit, mit der er die gesamte Saison bis zur Tour de France bei Rennen der verschiedensten Kategorien im Mittelfeld herumrollt – all das hatte ihm zwar Bewunderung für sein großes Talent, aber nicht gerade die Herzen von Radsportfans beschert.

In den letzten drei Tagen der Tour de France, den schweren Etappen durch die Pyrenäen, hat sich das geändert. Sich bequem zurücksetzen und sich wie im vergangenen Jahr darauf zu konzentrieren, hinter Armstrong als Zweitbester nach Paris zu kommen wäre für Ullrich ein Leichtes gewesen. Doch diesmal macht der Deutsche Meister bedingungslos sein Versprechen wahr, alles, aber wirklich alles zu versuchen, um doch noch die Tour de France zu gewinnen. „Noch einmal Zweiter zu werden“, hatte der Sportliche Leiter des Team Telekom, Walter Godefroot, schon nach dem ersten Pyrenäen-Tag gesagt, „kann nicht das Ziel sein. Lieber gehen wir am Schluss unter und werden Zehnter, haben aber nichts unversucht gelassen.“

Von Untergang konnte auch gestern keine Rede sein, obwohl es Ullrich auf der letzten Pyrenäenetappe über Aspin und Tourmalet nach Luz-Ardiden wieder nicht gelang, Lance Armstrong im Gelben Trikot abzuschütteln. Einträchtig kamen die beiden 1:08 Minuten hinter den Tagessieger, dem Basken Roberto Laiseka, ins Ziel, der Deutsche schob sich am Kasachen Andrej Kiwilew vorbei auf den zweiten Rang der Gesamtwertung vor.

Vor allem auf der zweiten und schwersten Pyrenäen-Etappe hatte das Team Telekom am Samstag noch einmal alle Register gezogen. Bereits am vorletzten Berg, dem Peyresourde, attackierte Ullrich mit für ihn ungewohntem Temperament und schaffte es immerhin, Armstrong bei dessen Konter Falten auf die Stirn zu legen. Doch der Amerikaner konnte dem rackernden Deutschen mit gewohnter Leichtfüßigkeit zunächst folgen. Vielleicht hatte Ullrich wegen der vereitelten Attacke ein wenig die Konzentration verloren, als er in der Abfahrt von eben jenem Peyresourde zu schnell in eine Kurve fuhr und geradeaus ins Grüne ausweichen musste. „Das sah schlimm aus“, sagte Lance Armstrong, der die Situation, wie er sagte „aus der ersten Reihe beobachten durfte.“ So sehr fuhr dem Amerikaner der Schreck in die Glieder, dass er wartete, bis sein schärfster Rivale sich berappelt hatte und ihn fragte, wie es ihm gehe. „Ich fand das war das Anständigste, was ich tun konnte“, so Armstrong.

Durch die Unterbrechung gelang es jedoch auch den anderen Mitbewerbern in der Gesamtwertung, wieder aufzuschließen, und so fuhren Beloki, Kiwilew, Armstrong und Ullrich gemeinsam in die ersten Kurven des letzten Passes. Und wieder war es Ullrich, der die Initiative ergriff. So lange machte er in dieser Gruppe das Tempo, bis alle Konkurrenten außer Armstrong zurückgeblieben waren.

Doch zwei Kilometer unterhalb des Gipfels konnte Armstrong erneut nicht der Versuchung widerstehen, seine Überlegenheit zu demonstrieren. Wie schon am Freitag und in L’Alpe d’Huez stiefelte er auf und davon und gewann die Etappe mit einem Vorsprung von einer Minute vor dem Deutschen.

„Ich habe alles probiert“, resümmierte Ullrich den Tag mit den gleichen Worten wie schon die vorangegangenen Tage. „Unsere Mannschaft hat hervorragend gearbeitet“, ergänzte Walter Godefroot. „Aber am Ende war es ein Kampf Mann gegen Mann, und wenn einer eben stärker ist als der andere, dann muss man sich nicht wundern, wenn man immer wieder dasselbe Ergebnis bekommt. Jedenfalls wissen wir jetzt, dass Armstrong auch einer langen Attacke standhält.“ Mit der erneuten Demonstration seiner Überlegenheit eroberte Armstrong auch das Gelbe Trikot, das bis dahin der Franzose François Simon getragen hatte. Simons Vorsprung von der verregneten Etappe nach Pontarlier war nach acht Tagen endgültig aufgezehrt.

Ullrich eroberte unterdessen mit seinem verzweifelten Aufbäumen gegen das Unausweichliche die Sympathie vieler Anhänger. „Ich verstehe nicht, warum man in Frankreich den Zweiten mehr liebt als den Sieger“, hatte sich Armstrong schon im vergangenen Jahr darüber beschwert, dass man ihn zwar bewundert, aber nicht verehrt. Wer Armstrong und Ullrich in den Pyrenäen gesehen hat, versteht die Franzosen.

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