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Zuschauer laufen Tänzern hinterher

Momente gerinnen zu Kostbarkeiten, Körper werfen sich auf den regennassen Stein, es ist kalt, die Leute spielen mit: Mit der Premiere ihres neuen Tanzstückes „17-25/4“, Forschungsdrang und Faszination des Topografischen eröffnete Sasha Waltz die Saison in der Schaubühne am Lehniner Platz

von JANA SITTNICK

Sie hat sich für die Hoheit des Raumes entschieden und sich konsequent zur architektonischen Struktur ihres Theaterhauses und seiner Umgebung vorgearbeitet. Das Ergebnis dieser Auseinandersetzung legte Sasha Waltz am Donnerstag in der Schaubühne vor: Mit der Premiere ihres neuen Tanzstückes „17-25/4“ eröffnete die bekannte Choreografin und künstlerische Leiterin die Spielsaison am Lehniner Platz.

Vor zwei Jahren schon, im Herbst 1999, bevor Sasha Waltz gemeinsam mit Thomas Ostermeier, Jochen Sandig und Jens Hillje die künstlerische Leitung der Schaubühne übernahm, probte sie mit ihrer Kompanie einige Wochen in dem von Daniel Libeskind erbauten Jüdischen Museum. Sie recherchierte zu ihrem neuen, großen Thema, der Raum-Körper-Beziehung, lotete die Möglichkeiten der Absorption und Assoziation aus. Mit dem Stück „Dialoge 99“, das ursprünglich nur eine Vorstudie zu ihrem Erfolgsstück „Körper“ werden sollte, setzte Waltz ein markantes Zeichen auf dem von ihr beschrittenen „Forschungsweg“.

Sie löste sich von den sozialen Themen ihrer früheren Stücke, abstrahierte ihre Bewegungssprache und setzte die übliche Bühnensituation aus, indem sie das den Tänzern hinterherlaufende Publikum in gewissem Maße mitagieren ließ; sie schickte ihre Darsteller durch die verwinkelten, labyrinthischen Gänge und Nischen und verwandelte den Museumsbau vorübergehend in einen theatralen Raum. „Dialoge 99“ war ein spannungsgeladenes und ungewöhnliches choreografisches Angebot, das sich ganz und gar auf die Örtlichkeit einzulassen schien.

Diese künstlerische Linie führt Sasha Waltz nun mit „17-25/4 (Dialoge 2001)“ fort. Der sperrige Titel bezieht sich auf die Nummerierung der Schaubühne im von Erich Mendelsohn 1928 entworfenen Bauensemble „Lehniner Platz“. Das Theater steht auf dem „Flurstück 25/4, Block 17“. Das Theaterhaus als Teil eines größeren, architektonischen Ganzen erlebbar zu machen, ist die große Leistung des Stückes. Wie auch der Libeskind-Bau wird die Schaubühne hier auf verschiedenen Ebenen, an verschiedenen Punkten bespielt, und es wird sich geradezu in den Ort hinein gespielt, so als wollten die Körper sich mit dem Beton vereinen.

Zu Beginn des Stückes sieht man in einem riesigen, kahlen Theatersaal ohne Bestuhlung – erstmals seit 1984 wurden dazu die Säle A, B und C aufgelöst und zu einem Raum zusammengelegt – eine Tänzerin in Schlips und Kragen. Sie tanzt ein kurzes Solo, erscheint schmal und bleich im fahlen Bühnenlicht, trägt Weiß und Grau. Der Tanzboden ist schwarz, die Betonwände ebenfalls grau, hoch oben begrenzen schwarze Metallgitter den Raum. Die Einführung wirkt sehr karg und reduziert auf einige wenige Bewegungen, die umso dramatischer erscheinen, je weniger sie „darstellen“ wollen.

Demgegenüber ist die spätere klassische Gesangseinlage auf der Schaukel geradezu opulent. Die Gruppe der 26 Tänzer strömt herbei, saugt die Einzelne in sich auf und spielt Gesellschaft: Diffus bewegt man sich mit- oder gegeneinander, fällt, steht schnell wieder auf, flieht, wird gefangen, quält und wird gequält.

Die scheinbare Orientierungslosigkeit, die die Figuren auf der Bühne umtreibt, schlägt plötzlich um in mechanisch-fremdgesteuertes Marschieren, mit unbewegten Mienen. Manchmal ist es wie im Kinder-Schlafsaal ohne Erzieherin, wenn die Kleinen verrückt spielen. Manchmal wirkt das ziemlich hilflos-aggressive Gruppengewusel pathologisch, ein stracker Eindruck, der durch die von Bernd Skodzig entworfenen Kostüme – weiße Faltenröcke, Tenniskleider und Kniehosen im natürlich sehr verfremdeten Dreißigerjahre-Stil, verstärkt wird.

Sasha Waltz drängt es hinaus, sie inszeniert ihre weiß gewandeten Ensemblemitglieder auf dem Vordach einer Peugeot-Garage, neben „Dr. Kribben Finanzberatung AG“, auf dem Theatervorplatz. Hier vermessen drei Tänzer einen hundert Meter langen Fußweg mit dem Körper, werfen sich auf den regennassen Stein, stehen auf, laufen einige Schritte, werfen sich erneut hin. Die Zuschauer laufen den Darstellern hinterher, durch die Wilmersdorfer Straßen. Es ist kalt, doch die Leute spielen mit.

Die einzelnen Tanzbilder sind spannend genug, wenn sie entfaltet werden, doch sie entwickeln sich irgendwie zäh. Zu lange wird an den sich wiederholenden Bewegungen festgehalten, so, als sollten Momente zu etwas ganz Kostbarem gerinnen. Und das ist, trotz der faszinierenden Idee vom Topografischen, mitunter langweilig.

„17-25/4“ läuft Sa, 20 Uhr, und So, 16 und 20 Uhr, in der Schaubühne am Lehniner Platz

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