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Perrückte Pechstein

Das Tulpen-Meisje hat sie geschlagen, Weltrekord ist sie gelaufen, in die Annalen wird sie eingehen – aber ihre karnevalistische Verirrung zeigt: Vermarkten lässt sich Claudia Pechstein nur schwer

aus Salt Lake City MARTIN HÄGELE

Eine halbe Stunde, nachdem die letzte Eisschnelllauf-Entscheidung im Olympic Oval gefallen war, nahm Roland Hanke, der Redakteur vom Kufenflitzer, seinen Fotoapparat und lichtete die dicht gedrängte deutsche Sportpresse bei ihren Abschlussinterviews mit Claudia Pechstein und Anni Friesinger ab. In der nächsten Ausgabe des offiziellen Organs der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft soll dieses Bild erscheinen, man weiß noch nicht genau, was der Presse-Offizier des Verbands darunter schreiben wird. Bestimmt aber geht sein Text in folgende Richtung: Noch nie war Eisschnelllauf in Deutschland so populär, nie zuvor haben sich die Medien mehr um die Top-Figuren dieses Sports gekümmert als in den Tagen von Salt Lake City um die Goldmedaillengewinnerinnen Claudia Pechstein und Anni Friesinger.

An jenem Samstagnachmittag waren die Vertreter von Funk, Fernsehen und schreibender Zunft Augenzeugen eines historischen Ereignisses geworden: Claudia Pechstein hatte sich einen Titel geholt, der zwar inoffizieller Natur ist, sie aber wohl ihr Leben lang begleiten wird. Erfolgreichste deutsche Wintersportlerin, erfolgreichste Eisschnellläuferin aller Zeiten; beide Titel klingen etwas künstlich – aber irgendwie muss man ja ausdrücken, dass Claudia Pechstein, in olympischen Medaillen gerechnet, Gunda Niemann-Stirnemann überholt hat mit vier goldenen, einer silbernen und zwei bronzenen Plaketten.

Joachim Franke, der Trainer Pechsteins und mit 17 solchen olympischen Münzen der fleißigste Sammler dieser Gilde, hat versucht, die Erfolge seines Schützlings, der dreimal hintereinander die Marathonstrecke gewonnen hat, leistungsmäßig einzuordnen. In Lillehammer und Nagano habe sich Pechstein gegen eine Gunda Niemann durchgesetzt, „die gleichsam in den Sternen schwebte“, praktisch unschlagbar war. Und in Salt Lake City stand erst mal aus dem eigenen Lager Anni Friesinger im Weg, und dann pulverisierte eine holländische Marathonläuferin den Weltrekord „mit einer Traumzeit“. Doch die 30-jährige Berlinerin ließ sich dadurch nicht schocken. Sie erstellte einen Marschplan, beschloss, pro Runde eine Sekunde schneller zu sein, als sie jemals gelaufen war, und spulte das Weltrekordprogramm wie ein Uhrwerk ab. Nach einer guten Stunde war Greta Smit ihren Weltrekord wieder los, das Wunder vom Tulpen-Meisje, das in Amsterdam Blumen verkauft hat, musste doch nicht ganz so groß geschrieben werden.

Vieles von dem, was sich im Februar 1998 in der „M-Wave“ getauften Arena von Nagano um Claudia Pechstein herum abgespielt hat, erinnert an das Sieger-Szenario in Salt Lake City. Fast krampfhaft versuchte ihr damaliger Manager Werner Köster, die Wiederholung des Olympiasiegs als Glücksfall zu verkaufen. Da war ja noch einmal die Chance, das Gold zu versilbern, endlich aus dem Schatten einer anderen herauszukommen. Als es nun wieder darum ging, Medaillen und Ruhm in Verträge und Geld umzusetzen, sprach die Siegerin davon, „dass die Drähte schon glühen“ zu Sponsoren „und mein Management zu Hause von mir in die Spur gesetzt wird“.

Wenn Claudia Pechstein nur ein klein bisschen verstünde, wie die Vermarktung eines sportlichen Idols funktioniert, dann hätte sie das „Powerplay Management“ aus Berlin noch an diesem Wochenende und telefonisch von Utah aus feuern müssen. Denn die Firma Krengel, die unter anderem die Stadionzeitschrift Wir Herthaner vom Bundesligisten herausgibt, war auf die Idee mit der schwarz-rot-goldenen Perücke gekommen. Es war aus sportlicher Sicht schon unappetitlich, wie Pechstein in dieser Verkleidung im Innenraum und parallel zu ihrer Rivalin Anni Friesinger über die Ziellinie tanzte – die Siegerin über 1.500 Meter hatte sich auf der langen Distanz total verausgabt und war am Ende Sechste geworden.

Bundespräsident Johannes Rau war die Platzierung der derzeit populärsten Eis-Athletin egal. Er nahm die blonde Dame aus Inzell in den Arm. Als verspätete Gratulation und aktuellen Trost gab’s für Anni Friesinger je ein Küsschen links und rechts. Als kurz darauf die Siegerin von ihrer Ehrenrunde zurückkehrte und vorm höchsten Repräsentanten ihres Heimatlandes stand, spürte man förmlich die Distanz zwischen dem Staatsoberhaupt und der Eisprinzessin im Karnevalslook. Claudia Pechstein hatte sich wieder einmal geschmacklich vertan, auch wenn sie die Perückennummer hinterher ihrer PR-Agentur unterjubelte.

Es scheint das Schicksal dieser außerordentlichen Athletin zu sein, dass sie sich und ihre großen sportlichen Qualitäten nicht entsprechend darstellen kann. Ein vernünftiges und gescheites Bild dieser begnadeten Ausnahmesportlerin in die Öffentlichkeit zu transportieren, haben schon eine ganze Reihe von Agenturen versucht. Bislang sind alle daran gescheitert. Frau Pechstein sei sehr schwierig zu managen, so einer ihrer ehemaligen Marketingpartner. Statt zum Superstar zu werden, muss sie wohl eine Leistungssport treibende Grenzschützerin bleiben, deren Größe bald wieder nur statistisch im Archiv des deutschen Eis- und Wintersports ruht. Spätestens dann, wenn die noch frischen Bilder von Salt Lake City verblassen.

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