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Am Anfang war der Klang

■ Nicht im illustrativen Effekt verharrt: Sofia Gubaidulinas „Passion und Auferstehung Jesu Christi“ im Michel

Durch Leid zum Licht': So könnte das Motto von Sofia Gubaidulinas im Hamburger Michel aufgeführter Passion und Auferstehung Jesu Christi nach Johannes lauten, in der die aus Russland stammende Komponistin das Passionsgeschehen und die Apokalypse nach dem Johannes-Evangelium miteinander verschränkt. Gubaidulinas Musik der Düsternis in ihrer bereits im Jahr 2000 uraufgeführten Johannes-Passion wird im nun uraufgeführten Oratorium Johannes-Ostern ergänzt durch die Helle der Auferstehung.

Zu Beginn des Oratoriums steigt eine Solovioline mit Quintläufen in lichte Höhen. Dort angekommen, setzt sich der Klang fort in sphärisch hohe Töne diverser Schlagzeuginstrumente, die nicht durchAnschlagen, sondern Streichen und andere Techniken in Schwingung gebracht werden. Gubaidulina gelingt dabei durch die Reduktion der Mittel ein Maß an Verinnerlichung und Konzentration, das nie im bloßen illustrativen Effekt verharrt.

Die Komponistin gestaltet ihre Musik des Oster-Oratoriums ganz aus formbildenden Leitklängen, die sich in bestimmtem Rhythmus wiederholen und verändern. Da wird ein Klang zum Beispiel ganz langsam aus dem vorhergehenden entwickelt. Wie Donnerworte stürzen etwa Blechbläserkaskaden über die Streicherflächen herein. Der das Stück inhaltlich zusammenhaltende Leitsatz aus dem Johannes-Evangelium – „Am Anfang war das Wort“ – wird durch Gubaidulina so umgedeutet, als meine sie, in Wirklichkeit sei am Anfang der Klang gewesen.

In Entsprechung zum textlichen Erlösungsgedanken hat Gubaidulina eine Musik geschrieben, in der traditionelle thematische und motivische Arbeit nicht mehr zu existieren scheint. Sie gerät damit in die Nähe von Wagners Parsifal, wo die inhaltliche Dimension des Erlösungsmotivs ebenfalls durch die Auflösung musikalischer Themen bzw. Motive ihren Ausdruck findet.

Zugleich ist Gubaidulinas Musik gewordene Philosophie und Theologie auch Feruccio Busonis Denken sehr nahe, wenn dieser vom Weltall als einem Klangkosmos spricht, aus dem der Komponist seine Töne destilliert. Denn Gubaidulinas Musik klingt wie aus überirdischen Sphären: Es gelingt der Komponistin, den Eindruck zu erwecken, als wären ihre durchgestalteten Klänge in ihrer scheinbaren Archaik ganz ursprünglich.

Allen Mitwirkenden dieser Aufführung, insbesondere dem Dirigenten Valery Gergiev mit seinen vorzüglichen Chören aus Petersburg und Hamburg, dem engagiert spielenden NDR-Sinfonieorches-ter und den exquisiten Gesangssolisten, allen voran dem Bassisten Gennady Bezzubenkov, ist zu danken für diese erstklassige Aufführung.

Reinald Hanke

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