: Zensur ohne Richter
Die Regierung Spaniens hat den nunmehr vierten Entwurf eines Internetgesetzes vorgelegt: Statt die Vorgaben der EU über den Onlinehandel umzusetzen, erlaubt er den Militärs und Beamten, fast alles zu verbieten, was ihnen nicht gefällt
von REINER WANDLER
Was lange währt, wird nicht immer gut. Viermal hat Spaniens konservative Regierung in den letzten drei Jahren den Entwurf für ein „Gesetz über Dienstleistungen der Informationsgesellschaft und den E-Commerce“ (LSSI) überarbeit (www.setsi.mcyt.es/lssi/lssi_txtproyecto.htm). Doch jeder neue Vorschlag verursachte den gleichen Aufschrei in Spaniens Internetgemeinde. Es handle sich um einen „regierungsamtlichen Versuch, das Internet zu zensieren“, so der beständige Vorwurf. Denn neben den Paragrafen, die den Onlineverkauf regeln und Spam per E-Mail verbieten, kümmert sich das neue Gesetz auch um die Inhalte der Websites auf spanischen Servern.
„Niemand hätte es mehr begrüßt als wir, wenn sich die Regierung ausschließlich um die Umsetzung der europäischen Richtlinien für E-Commerce gekümmert hätte“, heißt es in einer Erklärung von Kriptopolis (www.kriptopolis.com). Die vor sechs Jahren entstandene Vereinigung gehört zu den Vorreitern, wenn es auf der Iberischen Halbinsel um Bürgerrechte im Netz geht.
Doch statt die tatsächlich schwachen Rechte der Kunden beim Online-Shopping zu stärken, wacht das neue Paragrafenwerk über die Einhaltung von „Prinzipien“. Welche das sind, legt Artikel 8 fest. Vom „Verstoß gegen die Menschenwürde, den Jugendschutz oder einem Aufruf zum Rassenhass“ ist da die Rede. Doch auch über die „öffentlichen Ordnung, strafrechtliche Ermittlungen, die öffentliche Sicherheit und die nationale Verteidigung“ soll das neue Gesetz wachen.
Websitebetreiber, die ihre Inhalte nicht entsprechend kontrollieren, bekommen es „mit einer jeweils zuständigen Behörde“ zu tun. Diese kann – ohne richterlichen Bescheid – direkt oder auf dem Weg über das Ministerium für Wissenschaft und Technik die Aussetzung der Übertragung, der Speicherung von Daten, des Zugangs zum Netz oder jedweden anderen Dienstes anordnen. Wie und wann Widerspruch dagegen eingelegt werden kann, das steht nicht im Gesetz. Dies solle vielmehr „eine entsprechende Ausführungsbestimmung regeln“. Aber bisher gibt es dazu noch nicht einmal einen Entwurf.
„Die Regierung scheint vergessen zu haben, dass Websites auf der Grundlage eines Quellentextes funktionieren. Und dieser Text genießt den gleichen verfassungsrechtlichen Schutz wie jedes andere geschriebene Wort auch“, protestiert Kriptopolis. Die Befugnisse einfacher Dienststellen öffneten der Willkür Tür und Tor.
Schon wiederholt hat die spanische Regierung versucht, Websites zu verbieten. So musste zum Beispiel die Gesellschaft gegen Folter ihre Website schließen, weil dort Name und Vergehen verschiedener Polizisten aufgelistet waren. Die Regierung sah das Persönlichkeitsrecht der mutmaßlichen Misshandler verletzt, obwohl es sich um öffentlich zugängliche Gerichtsinformationen handelte.
Kriptopolis befürchtet, dass staatliche Stellen mit dem neuen Gesetz noch hemmungsloser gegen unliebsame Information vorgehen werden. „Nur ein Richter und nicht ein gewöhnlicher Oberst darf die Schließung einer Seite anordnen, auf der eine Veröffentlichungen über die Verschlüsselungsmethoden des Geheimdienstes zu lesen ist. Nur ein Richter und nicht etwa ein Beamter des Gesundheitsministeriums darf die Schließung einer Seite anordnen, auf der über die Korruption durch die Pharmaindustrie informiert wird. Nur ein Richter und nicht das Innenministerium ist dafür zuständig, Verschlüsselungsprogramme der Globalisierungsgegner zu beschlagnahmen“, nennt Kriptopolis einige mögliche Beispiele.
Längst überlegt sich so mancher Webmaster, ob er seine Sites ins Ausland verlegen soll. Aber auch der Regierung ist klar geworden, dass das Internet nicht „world wide“ ist. Deshalb soll im Rahmen des neuen Gesetzes die Kooperation mit anderen Ländern, vor allem denen der EU, verstärkt werden, um strafbare Inhalte zu ahnden. Im Ernstfall will der Gesetzgeber noch einen Schritt weiter gehen: „Falls die entsprechende Behörde es für angebracht hält, den Zugang von Spanien aus zu unterbrechen, kann sie den zuständigen Providern direkt – oder auf dem Weg über das Ministerium für Wissenschaft und Technik – anordnen, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um diesen Zugang zu verhindern.“
Wie das Ausfiltern von Websites gehen soll, davon steht nichts im Gesetz. Wenn es tatsächlich so weit kommen sollte, „gibt es sicherlich technische Tricks, um diese Schranken zu überwinden“, ist sich ein Internaut in einer Newsgroup zum LSSI sicher. Er empfiehlt: „Aber bitte erzählt nicht gleich, wie das geht, denn sonst ändern die das Gesetz noch mal.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen