: Es geht auch um Macht
betr.: ... was wir für Wahrheit halten“ (David Blankenhorn über gerechten Krieg, die Rolle der Moral im Krieg und Intellektuelle), taz vom 20. 4. 02
Was David Blankenhorn von sich gibt, klingt wie das Stammeln und Raunen eines Mannes, der an Prometheus erinnert. Es geht in der Politik stets auch um Macht und nicht nur um Terrorismus oder um Ökonomie. Es geht auch nicht um Gut oder Böse, sondern alles setzt sich aus vielen kleinen Fasern zusammen, darunter sind auch die Ressourcen.
Die Maschine Kapitalismus braucht Treibstoff und Schmiermittel. Wann immer es eng wurde auf den industriellen Kontinenten, gab es Krieg oder Raubzüge. Meist waren die archaisch anmutenden oder rückständigen Nationen zunächst gar nicht am Krieg beteiligt, manchmal wurden sie natürlich angegriffen und hineingezogen. Marx hat dem Wort vom Kapitalismus vielleicht den tieferen Sinn gegeben, aber, wenn man beim Welthandel von Kapitalismus reden kann, so ist dieser genau so alt wie die Prostitution. Nur jeden Tag sitzt wo ein Gelehrter im stillen Kämmerlein, der an irgendeiner Neufassung gewisser weltlicher Gesetzlichkeiten bastelt und händeringend nach neuen Begriffen sucht. Vielleicht wird man in einigen Jahren den Krieg nicht mehr als Krieg bezeichnen, wer weiß?
Es gibt eben verschiedene Schichten eines Krieges: eine, die uns im Fernsehen vorgeführt wird, eine, die in Tampa im Hauptquartier von General Franks stattfindet, eine andere, wo der Agent X den Talibankämpfer verhört, dann gibt es die des Flotillenkommandanten am Kap Horn. Klar geht es vordergründig um Bin Laden und al Quaida, aber Politik ist auch immer das, was sich an Optionen gerade anbietet. Dieser Krieg gegen Terror bot Putin Schutz, um in Tschetschenien eingreifen zu können, ohne im Blickpunkt der westlichen Medien zu sein. Der Konflikt gab Israel die Möglichkeit, sämtliche Abkommen und UNO-Resolutionen zu ignorieren.
In der Frage der Macht messen sich verschiedene Kräfte auf verschiedenen Schichten und Ebenen. Die Realität, die dann daraus erwächst, ist sehr verschieden: es gibt die Realität des Intellektuellen, der in Harvard im warmen Zimmer am Nussbaumschreibtisch sitzt, es gibt die Realität des Soldaten der internationalen Schutztruppe, der Wache in Kabul schiebt, es gibt die Realität des Abgeordneten in Berlin oder Paris. Es gibt die Realität von Bin Laden, die von Arafat, und es gibt die Realität der Mutter, die das tote Kind beweint. Und es gibt die Realität des Selbstmordattentäters und die Realität des jungen Bombenopfers, das mit Nägeln im Kopf im Krankenhaus erwacht. Wir sehen also in diesen Schichten von Realitäten verschiedene Optionen. Und diese Optionen sind entstanden aus gewissen Handlungen in diesen verschiedenen Realitätsebenen, deshalb kann ich nicht verstehen, was da so pragmatisch klingt: „Es gibt Zeiten, in denen es nicht nur moralisch gerechtfertigt ist, sondern sogar geboten ist, Krieg zu führen …“ Wenn alles so eindimensional wäre, brauchte man nur Schach zu spielen.
Möglich, aus David Blankenhorns Realität heraus entstehen Einsichten, die dann zu solchen Aufrufen führen, aber was ist mit der Realität des Opiumbauers in Kandahar? Oder was ist mit der Realität der Krankenschwester im Hospital in Kabul? Oder was ist mit der Realität des GIs, der plötzlich in einen Hinterhalt gerät? Es geht nicht vordergründig nun nur um Öl, es geht um die Neufassung der Kartographie der Welt. […] ULRICH WAHL, Ehningen
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