: Über das Recht auf das Nichtwissenwollen
■ Wohlfahrtsverbände gegen Beratungspflicht vor Spätabbruch / Stattdessen Ergebnisse verbesserter Diagnostik anbieten
Frauen, die wegen einer zu erwartenden Behinderung ihres Kindes den Abbruch der Schwangerschaft erwägen, dürfen nicht zu einer Beratung gezwungen werden. Statt für eine Beratungspflicht, wie sie Teile der CDU/CSU und der Ärzteschaft fordern, setzen sich Paritätischer Wohlfahrtsverband, Arbeiterwohlfahrt und Pro Familia für eine freiwillige Beratung ein.
„Eine Änderung im Strafgesetzbuch, die schwangeren Frauen unter Androhung von Strafmaßnahmen eine Beratung vor einem Spätabbruch vorschreibt, halten wir für grundsätzlich falsch“, betonen die Verbände in einer gemeinsamen Stellungnahme. Wichtig sei hingegen, die freiwilligen Beratungsangebote und den Zugang zu ihnen zu verbessern. Die Erfahrungen aus der Beratungspraxis und der Forschung zeigten, dass viele Frauen nicht ausreichend über die Möglichkeiten und Grenzen vorgeburtlicher Diagnostik wie etwa Ultraschall- oder Fruchtwasseruntersuchungen informiert seien, argumentieren Paritätischer Wohl-fahrtsverband, Arbeiterwohlfahrt und Pro Familia. Die Frauen würden von einem „auffälligen Befund“ unvorbereitet getroffen und dadurch stark verunsichert.
„In dieser Situation sollte den Frauen beziehungsweise Paaren Unterstützung, Begleitung und Beratung angeboten werden“, betonen die Verbände. Diese solle vor allem auf die sozialen und psychischen Aspekte eingehen, die im Rahmen der regulären Vorsorgeuntersuchung in der ärztlichen Praxis zu kurz kommen.
Paritätischer Wohlfahrtsverband, Arbeiterwohlfahrt und Pro Familia fordern:
1. Im Rahmen der regulären Schwangerenvorsorge sollen Frauen und Paare selbstbestimmt und informiert darüber entscheiden können, welche vorgeburtlichen Untersuchungen sie in Anspruch nehmen. Ohne vorherige Aufklärung der Betroffenen sollten derartige pränataldiagnostische Verfahren nicht angewandt werden. Dabei ist auch das Recht der Betroffenen zu achten, nicht wissen zu wollen, ob ihr Kind möglicherweise mit einer Behinderung zur Welt kommt.
2. Eine Beratung soll Frauen und Paaren nicht vorgeschrieben werden. Die Begleitung und Unterstützung eines Klärungsprozesses, der aktive Mitwirkung, gegenseitiges Vertrauen, Respekt und Offenheit erfordert, ist jedoch sinnvoll. Ein solches Beratungsverhältnis setzt Freiwilligkeit der Beratung voraus.
3. Probleme, die im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen ab der 22. Schwangerschaftswoche auftreten, sollen nicht über das Strafgesetzbuch gelöst werden.
4. Der Mutterpass soll umfassende Hinweise auf medizinische und psychosoziale Beratungsangebote der anerkannten Schwanger-schaftsberatungsstellen und der Behinderten-Selbsthilfeorganisationen enthalten.
5. Die fachlichen Voraussetzungen sowie personelle und finanzielle Ressourcen für die interdisziplinäre Kooperation der Beratungseinrichtungen müssen ausgebaut werden.
6. Jedweder haftungsrechtliche Anspruch wegen einer voraussichtlichen Behinderung eines Neugeborenen, der sich darauf bezieht, dass dieser Mensch nicht hätte geboren werden dürfen, muss ausgeschlossen werden. Die Standesorganisationen der Ärzteschaft und die kassenärztlichen Vereinigungen sollen Rahmenbedingungen erarbeiten, dass vorgeburtliche Untersuchungen nicht aus haftungsrechtlichen Gründen angeboten oder durchgeführt werden müssen.
7. Die kritische Betrachtung vorgeburtlicher Diagnostik muss mit der Einstellung zu Menschen mit Behinderungen zusammengeführt und die Ethikdiskussion gesellschaftlich breit und konsequent weitergeführt werden. ots
Stellungnahme „Schwangerschaftsabbruch bei medizinischer Indikation“ unter www.awo.org, www.presseportal.de, www.profamilia.de oder www.paritaet.org
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