: Literatur auf der Anklagebank
betr.: „Stalin vögelt Chruschtschow“ (Wladimir Sorokin) von Katharina Granzin, taz vom 7. 8. 02
Es ist anzunehmen, dass der russische Schriftsteller Wladimir Sorokin wusste, was er mit seinen Schriften auslösen würde, aber er ist das Risiko eingegangen. […] Im heutigen Russland sind unangenehme Persönlichkeiten schon aus weit geringeren Gründen mit Gewalt aus dem Weg geräumt worden.
Sorokin greift die politische Elite an und es ist nur allzu verständlich, dass ein Schriftsteller, um überhaupt Beachtung zu finden, in diesem Falle mit besonders scharfer Feder sein Handwerk verrichten muss. Damit setzt er sich der Gefahr aus. Seine und andere Bücher werden öffentlich von Putin-Vasallen zerrissen und in ein überdimensional riesiges Klo geworfen. Zugleich bekommt er noch eine Anzeige wegen Pornografie an den Hals, deren Heftchen ansonsten in Russland an jeder Straßenecke zu erwerben sind. Und was für eine Heuchelei. Denn gerade in politischen Kreisen gilt die Pornografie oder ein Nachtclubbesuch doch als willkommenes Entspannungsmittel am Ende eines Arbeitstages.
Die indische Schriftstellerin Arundhati Roy verweist darauf, dass die Zeit der großen Helden erst einmal vorbei ist, und das gilt auch für die Literatur. Aber umso mehr, so fährt sie fort, benötigen wir viele kleine Helden, die wachen Auges Unterdrückung, Bedrohung und Ungerechtigkeit wahrnehmen und ihre Stimme erheben. In Russland steht ein Sorokin auf der Bestsellerliste, der hoffentlich nicht zum tragischen Helden wird.
Und wir haben, ja wen haben wir denn? Hera Lind, eine verzeifelte Generation, die ihrem Golf nachtrauert und vieles andere grausame Allerlei. Warum die Literatur sich hierzulande Themen wie Arbeitslosigkeit, Politikverdrossenheit und anderen aktuellen sozialen Brennpunkten kaum widmet, wäre ebenfalls eine Frage wert. STEFAN DERNBACH, Siegen
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