: „Ein Fest mit Wuppertalern“
An zwei Tagen bei Kampnagels Laokoon-Sommerfestival zu Gast: Pina Bauschs Neuinszenierung von „Kontakthof“ mit Rentnern aus der Stadt, in der ihr Tanztheater seit Jahrzehnten beheimatet ist
Aus dem Blickwinkel der Fremdheit mag selbst das uns vertraute deutsche Tanztheater in neuem Licht erscheinen. Laokoon-Leiter Hidenaga Otori ist es gelungen, die Tanztheaterlegende Pina Bausch nach Hamburg zu holen. An zwei Tagen ist das Tanztheater Wuppertal auf Kampnagel mit der außergewöhnlichen Senioren-Inszenierung seines Klassikers Kontakthof zu Gast. Im Kontext des internationalen Laokoon-Festivals zum Thema „Geschichte und Gedächtnis im Zeitalter der Globalisierung“ macht die Einladung durchaus Sinn, beruft sich doch das europäische Tanztheater heute weitgehend auf Bauschs Erbe.
Die collagenartig gestalteten Stücke Pina Bauschs beeinflussten viele ihrer Nachfolger. Hochsensibel trafen sie – und treffen bis heute – stets den Nerv aktueller Stimmungslagen. Dabei antwortet Bausch auf die Frage, ob ihr bewusst sei, dass sie das Tanztheater revolutioniert habe, bescheiden, es ginge ihr immer nur darum, wie sie ausdrücken könne, was sie fühlt.
Die „Urmutter des Tanztheaters“, wie sie oft genannt wird, inszenierte 1978 mit einem jungen Ensemble ihr heute legendäres Stück Kontakthof. Einen Traum erfüllte sich die Choreographin vor zwei Jahren, als sie eben diese Tanztheaterproduktion um das Begehren zwischen Mann und Frau mit Damen und Herren ab 65 neu einstudierte. Tänzerische Laien, Bürgerinnen und Bürger aus Wuppertal, balzen und turteln da in einem Ballsaal, entwickeln dabei eine beachtliche Bühnenpräsenz.
Sie gehen den Gefühlen hinter den gesellschaftlichen Konventionen auf den Grund. Eindrucksvoll machen die Tanzenden deutlich, dass Sehnsüchte und Ängste bei Jung und Alt nach wie vor die gleichen sind – und körperliche Zärtlichkeiten, trotz welker Haut, kein Privileg der Jugend. Dank Pina Bausch erleben sie hier quietschfidel ihren zweiten, wenn nicht gar dritten Frühling.
Ein paar Hebungen wurden gestrichen, ansonsten ist die Choreographie, die zwei Tänzerinnen der Uraufführungsbesetzung, Jo Ann Endicott und Beatrice Libonati, über ein Jahr lang mit der neuen Besetzung einstudiert haben, die gleiche geblieben. Aber um Virtuosität geht es bei Pina Bausch ja nicht, und ums „schön tanzen“ erst recht nicht.
Ein riskanter Balanceakt blieb es dennoch, der, da waren sich die Kritiker einig, jedoch zu einer professionellen Variation des Originals geführt hat. „Ein Fest mit Wuppertalern“, hatte die Choreographin im Jahr 2000 die Wiederaufnahme dieses dreistündigen Tanztheatervergnügens überschrieben. In Hamburg wird jetzt die letzte Aufführung der Produktion in Deutschland stattfinden. Die Vorstellungen sind bereits so gut wie ausverkauft. Restkarten erhält man nach telefonischem Eintrag in eine Warteliste nur noch an der Abendkasse. Marga Wolff
Sa + So, 19.30 Uhr, Kampnagel, k6 (☎ 27 09 49 49)
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