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Sonnenbad in neuem Selbstbewusstsein

Die Bremer Philharmoniker und ihr neuer Generalmusikdirektor wollen das Publikum verjüngen und sparen dabei nicht mit peppigen Titeln. Zum Beispiel für Renes‘ erstes Abonnement-Konzert: „Maximal genial: Minimal Music“

Dritter „Einstand“ des neuen Generalmusikdirektors Lawrence Renes: Nach einem fulminanten Konzert innerhalb des Musikfestes mit der 9. Sinfonie von Gustav Mahler und einer klangfarblich hochsensiblen Einstudierung von Giuseppe Verdis „Aida“ gab er nun sein erstes Abonnementskonzert mit den neu gebackenen „Bremer Philharmonikern“, dem vormaligen „Staatsorchester“. Es endete mit Ovationen.

Trotzdem wirkten einige Menschen im Publikum verschnupft, denn Renes erzählte dem Publikum erst einmal, es sei veraltet. So sehr das stimmt, so sehr hat es die getroffen, die sich das anhören mussten. Der Elan, mit dem Renes und der neue Orchesterdirektor Christian Kötter auf junge Publikumsschichten zugehen wollen, ist einerseits überzeugend, auf der anderen Seite so entschlossen, dass man ein bisschen Angst hat, dass der Schuss vielleicht nach hinten losgehen kann: Wenn Renes von den Open-Air-Konzerten im Weser-stadion träumt, oder aber die Konzerte mit den wildesten Überschriften versehen werden, wie „Liebesgrüße aus Moskau“ für das nächste Konzert mit Werken von Hugo Wolf, Robert Schumann und Johannes Brahms (ach ja: Die Solocellistin ist aus Moskau).

Das jetzige Konzert war angekündigt mit „Maximal genial: Minimal Music“ und meinte die 1984/85 entstandene „Harmonielehre“ des amerikanischen Komponisten John Adams. Auch wenn Adams in einigen früheren Werken durchaus mit der Minimal Music liebäugelte, so ist die schwergewichtige „Harmonielehre“, die sich auf Arnold Schönbergs Buch „Harmonielehre 1911“ bezieht, alles andere als diese Stilrichtung.

Im Gegenteil, sie erinnert sich kräftig an die Geschichte der Musik, ist voll von schönen Melodien, gefällt sich im Ton Gustav Mahlers, auch Richard Strauss und Richard Wagner sind zu hören. Und sie hat einen hochdramatischen Gestus der Trauer.

Das 50-minütige Werk zeigte allerdings auf das beste die speziellen Dirigierqualitäten von Renes: dynamische Steigerungen und Spannungen über einen langen Zeitraum, ungemeine Intensität der Details, faszinierende Homogenität des Gesamtklanges.

Die Bremer Philharmoniker schienen sich direkt zu sonnen in einem so neu gewonnenen Selbstbewusstsein, das ihnen in den letzten Jahren aus politischen und künstlerischen Gründen abhanden gekommen war.

Dieser Geist prägte auch die Wiedergabe der interessanten neunten Sinfonie von Dimitri Schostakowitsch – jenes Werk, von dem die Auftraggeber erwarteten, dass sie den sowjetischen Sieg im Zweiten Weltkrieg verherrlichen würde. Schostakowitsch schrieb jedoch eine klassizistisch-heitere Sinfonie mit einem grotesken, parodistisch gemeinten Triumphmarsch. Genau diesen meißelte Renes aufpeitschend heraus und konnte sich dabei auf fantastisches Blech verlassen. Wie gesagt: Ovationen.

Ute Schalz-Laurenze

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