: In 15 Sekunden zur Toilette
Die Wolfsburger Fans freuen sich über ein 3:1 gegen Werder, aber fast noch mehr auf das neue Autostadt-Stadion
Sie geben sich Mühe beim VfL Wolfsburg. Die Fans sind hier nicht einfach nur Fans, sondern „VIFs“: „Very Important Fans“ – so verkündet es die Aufschrift an der Kurve. Im Regen stehen sie trotzdem. Aber nicht mehr lange: Nur eine Pololänge von der alten Spielstätte entfernt prunkt bereits die neue „Volkswagen Arena“. Viel Stahl und noch mehr Glas lassen hier eher einen Ausbau der naheliegenden „Autostadt“ denn ein Fußballstadion vermuten. Ab Dezember will sich der grün-weiße VfL hier laut Stadionmagazin „Grün und Gut!“ im „internationalen Spitzenfußball“ etablieren.
An der Internationalität werden sie noch etwas arbeiten müssen. Vor dem Nordderby gegen Werder Bremen kündigt der Stadionsprecher Bremens französischen Spielmacher Johan Micoud als „Miekuht“ an. Doch die Plakate rund ums Stadion betonen selbstbewusst: „Das Beste am Norden: Hier regiert der VfL“. Die vielzählig mitgereisten Werder-Fans waren da etwas anderer Meinung und verkündeten lautstark: „Hier regiert der Es-Vau-We!“
Aber auf dem Rasen regierte dann in der ersten Halbzeit allein die Einfallslosigkeit. Nach einer halben Stunde sind zwei Wolfsburger Ecken, ein 25-Meter-Schuss vom Bremer Fabian Ernst und ein Weitschuss der Wolfsburger zu verbuchen – das reißt die knapp 13.000 nicht gerade von den Sitzen. Dann nimmt der Wolfsburger Martin Petrov wie aus heiterem Himmel einen 50-Meter-Pass kurz vor der Strafraumgrenze auf und drischt den Ball aus 16 Metern ins Netz. Sein Trainer Wolfgang Wolf wird später sagen, dass seine Mannschaft gegen „clevere Bremer“ gewonnen habe. Angelos Charisteas kann er damit nicht gemeint haben. Der Grieche nämlich versiebt nach wunderbarem Doppelpass mit Micoud, Bremens Bestem, nicht nur die größte Werder-Chance der ersten Hälfte. Er schubst auch noch kurz vor der Pause seinen Gegenspieler dermaßen dumm gegen die Brust, dass ihn der Schiedsrichter berechtigterweise zum vorzeitigen Duschen schickt. Derweil scheinen die Wolfsburger die Eröffnung ihres neuen Stadions kaum erwarten zu können: In der Halbzeitpause erfahren die Zuschauer via Videowand, dass die Toiletten dort strategisch so günstig platziert sein werden, dass man von dort bis auf die Tribüne gerade mal fünfzehn Sekunden braucht.
Zurück von der Toilette spielt Werder mit nur zehn Mann zwar mit etwas mehr Mut, hat aber auch Glück bei zwei Wolfsburger Pfostenknallern. Dann wechselt Werder-Trainer Schaaf Ailton ein. Aus der Bremer Kurve tönt es „Jetzt geht’s looos!“, doch ehe der „Kugelblitz“ so richtig loslegen kann, steht es schon 2:0 für die Gastgeber. Robson Ponte, der schon den genialen Pass zum ersten Tor geschlagen hatte, war in der 67. Minute schneller als Magnin gewesen. Endlich wird ein bisschen Fußball gespielt, nur drei Minuten später bringt Micoud Werder mit einer schönen Einzelaktion auf 1:2 heran. Doch Stefan Effenberg macht sechs Minuten vor Schluss mit seinem Abstauber zum 3:1 alles klar. Thomas Schaaf zeigte sich hinterher zerknirscht, ein Punkt sei „durchaus drin gewesen“, zumal ihnen beim Stand vom 2:1 ein „ganz klarer Elfmeter“ verwehrt worden sei.
Dem Stadionsprecher war es egal, er freute sich, dass sich seine „Wölfe“ kämpferisch „den Platz aufs Hemd geschmiert“ hätten. Die nassgeregneten „VIFs“ sahen das genauso, und in ihren Jubel schien sich auch ein bisschen Vorfreude auf internationalen Spitzenfußball und die Toiletten im neuen Stadion zu mischen.
Daniel Schalz
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