: Die Regierung im Schwitzkasten
Mehr Macht für Betriebsräte: Mit seinem Gesetzentwurf will Arbeitsminister Riester die Mitbestimmung der Arbeitnehmer stärken. Das stößt auf Widerstand der Wirtschaft. Die Bundesregierung steckt mit ihrem Reformvorhaben in der Zwickmühle
von NICK REIMER und KAI BLIESENER
Trillerpfeifen, Trommeln, Tremolo: In Wolfsburg demonstrierten gestern 20.000 VWler gegen die Regierungspolitik. „Rentenpläne und die anstehende Reform des Betriebsverfassungsgesetzes werden zum Testfall des Verhälnisses von Regierung und IG Metall“, rief Hartmut Meine, Niedersachsens IG Metall-Chef, den Demonstranten zu. Testfall.
Der eine Teil des Testfalls ist 134 Seiten stark – Bundesarbeitsminister Walter Riester hat seinen Entwurf des neuen Betriebsverfassungsgesetzes fertig. Zumindest in diesem Fall dürften die Gewerkschafter besänftigt sein: Nach Riesters Plänen sollen Betriebsräte künftig nicht mehr nur über betriebliche Arbeitsbedingungen mitbestimmen dürfen, sondern auch bei Umweltschutz, Frauenförderung oder beim Kampf gegen Rassismus. Das Wahlverfahren soll vereinfacht, die Arbeitsmöglichkeiten der Betriebsräte und der Schutz seiner Mitglieder ausgeweitet werden. Die Kosten des Verfahrens trägt die Wirtschaft.
Insgesamt ist die Zahl der Arbeitnehmer, die in der Bundesrepublik von einem Betriebsrat vertreten werden, nach einer Untersuchung der Mitbestimmungskommission der Hans Böckler Stiftung von 51 Prozent im Jahr 1980 auf 40 Prozent im Jahr 1994 zurückgegangen. Tendenz weiter sinkend. Verantwortlich für diesen Trend ist das Outsourcing, die Ausgliederung einzelner Unternehmensteile zu kleinen Eigenbetrieben. Viele dieser bleiben ohne Betriebsrat.
Besonders dramatisch stellt sich die Situation der betrieblichen Interessenvertretung im Bereich der „New Economy`` dar. Gerade mal 8 Prozent der Unternehmen verfügen hier über einen Betriebsrat. „Doch auch hier findet eine Umorientierung statt``, beobachtet Frank Zach, Betriebsverfassungsexperte beim DGB Landesbezirk Baden-Württemberg. Aufgrund der Baisse am neuen Markt treten derzeit häufiger Notsituationen auf, und da werde auch in Belegschaften junger Firmen der Ruf nach einem Betriebsrat laut.
Riesters Pläne tragen diesem Umstand Rechnung. In Betrieben mit 5 bis 50 Mitarbeitern soll die Betriebsratswahl vereinfacht und „praktikabler“ als die derzeit komplizierte, auf dem Betriebsverfassungsgesetz von 1972 basierende werden. Arbeiter und Angestellte sollen gemeinsam ihren Betriebsrat wählen. Gibt es in einem Betrieb eines Konzerns keinen Betriebsrat, so soll der Gesamtbetriebsrat die Wahl einleiten. Die Bildung eines Konzernbetriebsrates wird obligatorisch. Und: Künftig soll es bereits in Unternehmen mit 200 Beschäftigten einen frei gestellten Betriebsrat geben. Bisher liegt die Grenze bei 300 Mitarbeitern. Nach Riesters Vorstellungen soll diese Neuregelung vor der Sommerpause verabschiedet werden und vor der Betriebsratswahl 2002 in Kraft treten.
Dass das Arbeitgeberlager ganz andere Vorstellungen hat, ist angesichts der Vorlage nicht verwunderlich. Für den scheidenden Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelstages, Hans Peter Stihl, jedenfalls kommt „eine Ausweitung der Mitbestimmung“ keinesfalls in Frage. Die Arbeitsgemeinschaft selbstständiger Unternehmer sprach gestern von einer „Gefährdung des sozialen Friedens“ und einer „Katastrophe“. Beruhigt werden die Arbeitgeber von Wirtschaftsminister Werner Müller (parteilos), der eine Ausweitung der Mitbestimmung auf jeden Fall verhindern will. Auch Hans Martin Bury (SPD), Staatsminister im Kanzleramt, spricht öffentlich nur von „Anpassung“, nicht, wie gestern in Wolfsburg wieder gefordert, von „Ausweitung“ der Mitbestimmung.
Der Bundeskanzler hält sich noch bedeckt. Auf einem Treffen mit süddeutschen IG Metallern und Betriebsräten nahm er deren Forderungen zwar „zur Kenntnis“, wollte aber keine Stellung beziehen. Schröder weiß, dass die Gewerkschaften bei dieser Reform viel von ihm erwarten. Gleichzeitig sitzen ihm aber die Arbeitgeber im Nacken. Der Konflikt ist programmiert, der Testfall nicht entschieden.
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