: „Gibt es Unschuldige?“
Der „Innenminister“ fordert, dass sich die Bürger den Bundestrojaner selbst herunterladen – ein Gespräch
taz: Herr Innenminister, Sie fordern alle Bundesbürger auf, sich Ihren Bundestrojaner freiwillig herunterzuladen. Was wollen Sie damit erreichen?
Der Innenminister: Wir leben in einem Zeitalter des globalen Terrors. Wir müssen Maßnahmen erwägen, mit denen wir diesen auch global abwehren können. Welche Waffe wäre da besser geeignet als das Internet?
Aber der Bundesgerichtshof hat die Online-Durchsuchung untersagt.
Nun mal langsam, das Gericht hat dieses Projekt erst einmal aufgeschoben, nicht mehr. Schon bald werden wir ein Gesetz verabschieden, welches die Sicherheit in diesem Land wieder gewährleisten wird. Und so lange kann der ordentliche und anständige Bürger seine Solidarität mit der Bundesregierung zeigen, indem er von selbst den Trojaner herunterlädt.
Ursprünglich wollte die Polizei deutsche Computer ja heimlich untersuchen. Ihr Trojaner hingegen spielt die Hymne und schwenkt Fahnen. Sonderlich unauffällig ist das nicht.
Wir geben dem Trojaner die Chance, aus dem Ghetto der schädlichen und übel beleumundeten Virenprogramme auszubrechen. Die Hymne und die Fahnen machen deutlich, dass er aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Das ist nicht nur aufgeklärter, das ist aufklärender Patriotismus, das ist die ideale Kombination aus deutscher Ausgelassenheit, wie sie bei der WM zu beobachten war, und deutscher Selbstkontrolle, wie sie unser Volk seit Jahrhunderten erfolgreich praktiziert. Dieser Trojaner ist ein echter Deutscher.
Wofür haben Sie bei den paar Bildchen eigentlich die 200.000 Euro ausgegeben, welche für die Online-Untersuchungen vorgesehen waren?
Was heißt hier „paar Bildchen“? Das sind Fotos von überragender Qualität, welche die sinnliche Freunde am Computer wecken. Außerdem hat allein der Komponist 64.000 Euro gekostet.
Haydn ist tot.
Mag sein. Aber der Student, der das mit seinem Keyboard so schön einspielt, musste erst einmal gefunden werden. Auch in Zeiten des Prekariats achtet die Regierung auf gute Bezahlung.
Nun haben noch nicht alle Deutschen Internet und Computer. Lückenlos überwachen können Sie also auch mit dem Trojaner nicht, oder?
Ach, da finden sich schon Lösungen. Wir haben überlegt, Hartz-IV-Empfänger als Bundestrojaner in die Bibliotheken zu schicken, damit diese dort den Leuten beim Lesen über die Schulter gucken. Wer „Effi Briest“ liest, hat ja nichts zu verbergen.
Wenn sich alle erst einmal einen Trojaner besorgt haben – wie trennen Sie die Schuldigen von den Unschuldigen?
Gibt es denn Unschuldige, Herr Schulz? Sagen wir es so: Wer sich jetzt freiwillig den Trojaner herunterlädt, macht sich jedenfalls nicht verdächtiger als bisher.
INTERVIEW: DANIEL SCHULZ
Kai Blitz, 29, ist natürlich nicht Innenminister, er nennt sich nur auf seiner Seite www.bundestrojaner.net so. Der Trojaner, den man sich dort herunterladen kann, ist ebenfalls nicht echt, sondern eine Art Bildschirmschoner. Mit diesem Gimmick möchte der 29-jährige Datenbankadministrator aus dem brandenburgischen Städtchen Brück auf humoristische Weise gegen die Online-Überwachung protestieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen