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Archiv-Artikel

Norwegen will Fossil wiederbeleben

Die rot-grüne Regierung in Oslo ist dabei, ihre atomkritische Haltung aufzugeben: Sie will einen Thorium-Reaktor bauen lassen. Von der Wiederentdeckung dieser Technologie erhofft sie sich einen Run auf die norwegischen Thoriumvorkommen

aus StockholmREINHARD WOLFF

In Deutschland wurde die Technik vor fast zwei Jahrzehnten ausrangiert. Übrig geblieben vom Thorium-Hochtemperaturreaktor (THTR) in Hamm-Uentrop ist nur noch eine kostspielige strahlende Ruine. Nun könnte die Thorium-Technik ausgerechnet in einem Land Renaissance feiern, das bislang ganz auf Atomenergie verzichtet hatte. Die rot-grüne Regierung in Norwegen hat bei ihrem Forschungsrat eine Analyse über „Möglichkeiten und Risiken des Gebrauchs von Thorium zur Energieproduktion“ bestellt.

Thorium ist ein radioaktives Element, aus dem in Hochdruckreaktoren der Kernbrennstoff Uran-233 hergestellt werden kann. Es wird in Australien, Norwegen, Sri Lanka, Kanada, USA, Indien, Lappland und Brasilien abgebaut. Da die bekannten Vorkommen dreimal größer sind als die von Uran, gilt es den Befürwortern von Atomenergie als möglicher Energieträger der Zukunft. Der Prototyp in Hamm-Uentrop wurde 1983 errichtet und 1989 wieder stillgelegt, weil die Betreiber die Technik nicht in den Griff bekamen. Die Errichtung kostete 2,05 Milliarden Euro, Stilllegung und der sichere Einschluss bis mindestens 2027 werden 425 Millionen Euro teuer.

Nationale und internationale Experten sollen „eine bestmögliche Tatsachenbasis liefern“, sagt Norwegens Energieminister Odd Roger Enoksen. Befürworter malen sich eine neue Generation eines Thorium-Reaktors aus, der in 20 Jahren seinen Betrieb aufnehmen könnte – und den Einstieg in eine Technik, die die Energiekrise der Welt lösen würde.

Die Erfahrungen aus Hamm-Uentrop, wo bereits der Probebetrieb praktisch eine einzige Kette von Störfällen war, haben in der norwegischen Debatte bislang keine Rolle gespielt. Es wird hauptsächlich darauf abgestellt, dass Norwegen vermutlich über die weltweit drittgrößten Thorium-Vorkommen verfügt. Mit dieser Naturressource könne man angesichts langsam versiegender Ölvorkommen als Lieferant eines neuen Rohstoffes auf den Weltmarkt kommen.

Egil Lillestøl, Physikprofessor an der Universität Bergen, erklärt: „Norwegen könnte mit seinem Thorium 250.000 Milliarden Dollar verdienen, tausendmal mehr, als der Ölfonds beträgt.“ Dafür müsse das Land aber bei der Entwicklung der Thorium-Reaktortechnik selbst mit „gutem“ Beispiel vorangehen, sowohl was Projektierung wie auch die Umsetzung angehe.

Und natürlich muss auch die Klimafrage als Argument herhalten: Norwegen als Ölland habe eine besondere Verantwortung dafür, der Welt eine CO2-freie Energietechnik zu liefern.

Die Thorium-Befürworter drängen Norwegen, auf das so genannte Rubbiatron zu setzen, einen Atomreaktortyp, den der Physiknobelpreisträger Carlo Rubbia, der auch Direktor des Europäischen Nuklearforschungszentrums CERN ist, Mitte der 90er-Jahre theoretisch entwickelt hat: Vereinfacht handelt es sich dabei um eine Mischung aus Teilchenbeschleuniger und bleigekühltem Brutreaktor. Diese Technik sei sicherer als die jetzigen AKW, produziere weniger Atommüll sowie kaum waffenfähiges Material und könne den Energiebedarf der Menschheit auf hunderte von Jahren decken.

Die Gegner der Technik relativieren diese angeblichen Vorteile gegenüber der auf Uran basierenden Reaktortechnik. „Es wird zwar weniger Atommüll produziert“, sagt Kjell Bendiksen, Direktor des norwegischen Instituts für Energietechnik IFE. „Aber der Brennstoff ist extrem radioaktiv, das bedeutet eine neue Terrorgefahr.“ Er bezweifle auch, dass ein Rubbia-Konzept großtechnisch umzusetzen ist, das in weiten Teilen auf einer Technik beruht, die bislang nicht erprobt ist.

Die riesigen Summen, die in die Entwicklung der Thorium-Technik investiert werden müssten, sollte man lieber in regenerative Energiequellen stecken, meint Atomphysiker Nils Bøhmer von der Umweltschutzorganisation Bellona. Sein Vorschlag: „Die Regierung hätte eine Kommission zur Entwicklung der Wellenkraft einsetzen sollen.“ Die Thorium-Reaktortechnik sei demgegenüber wohl so ziemlich das Unnötigste, was die Welt im Augenblick brauche.

http://de.wikipedia.org/wiki/Rubbiatron http:/reaktorpleite.de/