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Hamburgs SPD schlägt sich selbst

Ein Jahr vor der nächsten Hamburg-Wahl demontiert die SPD ihren Parteichef und designierten Spitzenkandidaten Petersen. Landesvorstand entzieht ihm das Vertrauen. Seine Stellvertreterin Stapelfeldt tritt bei Mitgliederbefragung gegen ihn an

Von Sven-Michael Veit

Von Rücktritt sei nie die Rede gewesen, behauptet Mathias Petersen um 0.45 in der Nacht zu Dienstag. Da steht der Vorsitzende der Hamburger SPD in der Parteizentrale vor den Journalisten und verkündet, sein Landesvorstand habe ihm gerade mit 13 zu 10 Stimmen einen „erheblichen Vertrauensverlust“ attestiert. Neben Petersen steht seine Stellvertreterin Dorothee Stapelfeldt und erzählt fast beiläufig, sie habe sich soeben „bereit erklärt für eine Kandidatur für das Bürgermeisteramt in Hamburg 2008“. Die Konsequenz ist, dass beide sich nun einem Mitgliederentscheid stellen müssen.

Fast genüsslich inszenieren die Genossen in der Hansestadt ihre größte Krise, seit Ole von Beust und Ronald Schill sie 2001 nach 44 Jahren Dauerregentschaft in die Opposition schickten. Fünfeinhalb Stunden lang waren am Montagabend im 24-köpfigen Parteivorstand die Fetzen geflogen. „Klartext“ sei geredet worden, berichtete gestern Mittag ein noch immer etwas müder Teilnehmer, „ordentlich Dampf abgelassen“ habe man, sagte ein anderer, „Mathias musste endlich mal kapieren, was Sache ist“, eine dritte.

Das Ergebnis ist ein SPD-typischer Doppelbeschluss: Der Vorsitzende, der trotz Misstrauensvotums durch den Vorstand an seinem Anspruch auf die Spitzenkandidatur in einem Jahr festhält, und seine Vize tingeln bis Anfang März vor der 11.500-köpfigen Parteibasis. Das Ergebnis gilt als völlig offen. Der Sieger wird auf einem Parteitag mit großer Mehrheit zum Herausforderer von CDU-Bürgermeister von Beust gekürt und holt den Unterlegenen in sein Schattenkabinett. „So sind wir“, sagt ein Vorstandsmitglied schulterzuckend, „erst schlagen wir uns, dann vertragen wir uns.“

Petersen waren in jüngster Zeit vermehrt Alleingänge und Führungsschwäche vorgeworfen worden. Vor allem sein Vorschlag, Sexualstraftäter nach US-Vorbild mit Namen und Adresse im Internet an den Pranger zu stellen, hatte im November für helle Empörung in der Partei gesorgt. Zudem warfen Spitzengenossen ihm einen Mangel an politischer Strategie und programmatischer Klarheit vor.

Zum Aufstand kam es vor zehn Tagen, als fünf der sieben Hamburger Kreisvorsitzenden seinen Wunsch ablehnten, ihn am 17. Februar auf einem „Krönungsparteitag“ offiziell zum Herausforderer für von Beust zu küren. Designierter Spitzenkandidat war Petersen seit Mai vorigen Jahres, als ein Parteitag ihn mit 88 Prozent für eine zweite Amtszeit zum Vorsitzenden wählte. Vor der offiziellen Nominierung aber zog der Landesvorstand nun die Notbremse.

Petersen behauptet nun, damit zufrieden zu sein. Mitgliederbefragungen seien „eine gute Einrichtung“. Und er hat damit Routine. 2003 unterlag er als Außenseiter bei der Wahl des SPD-Spitzenkandidaten nur knapp gegen Thomas Mirow, der dann bei der Bürgerschaftswahl im Februar 2004 keine Chance gegen von Beust hatte. Ein Vierteljahr später setzte er sich bei einem erneuten Referendum in der Partei durch. Nicht der vom Vorstand empfohlene Knut Fleckenstein wurde im Mai 2004 Parteichef, sondern der selbst ernannte „Kandidat der Basis“: Petersen.

Jetzt erklären er und seine Kontrahentin Stapelfeldt die anstehende Mitgliederbefragung zu einem guten Mittel, „in der Partei wieder zu mehr Zusammenhalt zu finden“. Und dann natürlich in einem „geschlossenen und entschlossenen“ Wahlkampf gemeinsam die absolute Mehrheit der CDU zu brechen.

Solchen Optimismus teilen einige Spitzengenossen. „Das hat uns fast zerrissen“, räumt einer ein. „Aber jetzt wissen wir: Er oder sie wird es“, und dann gehe es „Ole an den Kragen“.

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