: Scientology kommt in die Hauptstadt
Die Psychosekte eröffnet ein neues Zentrum in Berlin. Experten vermuten, dass die Organisation nach dem Imagetief der Neunzigerjahre verstärkt politischen Lobbyismus betreiben will. Innenpolitiker halten sich mit Bewertungen zurück
AUS BERLIN DANIEL SCHULZ UND NICO POINTNER
Die Straßen sollen gesperrt werden, mehrere tausend Menschen werden erwartet, und Tom Cruise könnte ebenfalls da sein. Nicht zur Filmpremiere, sondern zur Eröffnung der neuen Filiale von Scientology in Berlin am nächsten Samstag.
„Es sieht so aus, als würde die Sekte ihre Aktivitäten in Deutschland wieder verstärken“, sagt der Scientology-Kenner Frank Nordhausen, der Mitte der 90er-Jahre mit „Der Sektenkonzern“ das fundierteste deutsche Buch über die Psychosekte vorgelegt hat. Er glaubt, dass sich Scientology in Berlin ansiedeln will, um stärker politische Lobbyarbeit zu betreiben. „Durch die massive Aufklärung sind die Scientologen in den 90er-Jahren stark in die Defensive geraten. Jetzt wollen sie ihr ramponiertes Image aufbessern.“
Es geht jedoch nicht allein um das Aufpolieren des öffentlichen Bildes. Die Sekte hat bereits in Brüssel vorgemacht, was mit eifriger politischer Beziehungspflege zu erreichen ist. Wegen des Lobbyings der Scientologen wurden französisch-belgische Überlegungen für ein Gesetz nie Realität, das Sekten die Arbeit erschweren sollte, wenn sie psychisch-manipulative Methoden anwenden.
In Berlin hat die Organisation jetzt einiges aufgeboten. Sie kaufte ein sechsstöckiges Gebäude im Stadtteil Charlottenburg, dort will sie auf rund 4.000 Quadratmetern residieren. Nach Brüssel, London und Madrid hat die Sekte dann eine weitere Schaltstelle in einer europäischen Hauptstadt. Zudem zieht die Sekte nach Angaben von Experten ihre besten Leute in Berlin zusammen.
Dass Scientology damit eine neue Deutschlandzentrale eröffnet, bestritt Sprecher Frank Busch am Wochenende gegenüber der Berliner Zeitung Tagesspiegel: „Wir wollen in Berlin gegen Drogenmissbrauch und Gewalt unter Jugendlichen kämpfen, da brauchen wir größere Räumlichkeiten.“ Allerdings hat Scientology auch stets bestritten, dass es sich bei dem Hamburger Büro um die bisherige Bundeszentrale handele.
Ob die Organisation mit ihrer Strategie Erfolg haben wird, lässt sich schwer abschätzen. Der Ruf ist denkbar schlecht, allerdings hat sich seit den 90er-Jahren eine gewisse Gleichgültigkeit im Umgang mit Scientology eingestellt. Man habe das Thema schon seit längerem nicht mehr behandelt, sagte SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz gestern der taz. Man werde aber „ein kritisches Auge auf diesen Kult haben“. Sein Kollege Max Stadler von der FDP glaubt gar, die Berliner Politik sei „gegenüber Scientology immun“.
Laut einer Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts aus dem Jahr 2003 darf das Landesamt für Verfassungsschutz Scientology nicht beobachten. Man solle sich nur um aktuelle verfassungsfeindliche Bestrebungen kümmern, urteilten die Richter. Dass das Bundesamt für Verfassungsschutz feststellt, die Sekte setze gern „wesentliche Grund- und Menschenrechte“ außer Kraft, darf in Berlin demnach nicht interessieren.
Obwohl die Scientology-Ideologie also auch ohne das Zutun der Landesverfassungshüter bekannt ist, vermeidet der Senat jedwede kritische Stellungnahme. Hubertus Behnert, Sprecher des Innensenators, begründet das so: „Wo nicht beobachtet werden darf, kann nicht beurteilt werden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen