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Zum Frühstück mit biblischer Wucht

Geschnetzelte Leber zum Frühstück – dabei ist es gar nicht leicht, ein ansprechendes Restaurant, geschweige denn frische Ziegenleber im Jemen zu finden. Eine Reise mit Kalaschnikow, Vorurteilen gegenüber Köchen und echten jemenitischen Männern. Ein Küchenstück mit ungewöhnlichen Zutaten

Von VINCENT KLINK

Das gestrige Abendessen muss meiner Glatze den Rest gegeben haben. Rohe Brocken von scharfen Zwiebeln. Die Haut besteht ja aus mehreren Schichten, und nun löst sich ein Häutchen nach dem anderen wie die Aufkleber auf langsam verrottenden Autowracks. Die Sonne sticht gnadenlos, doch der wunderbare Jemen ist womöglich der letzte Ort der Welt, in dem amerikanische Baseballkappen noch nicht angekommen sind. Also erstehe ich von einem Marktschreier ein Palästinensertuch und wickle es um meinen Kopf.

Dann steige ich zu Mohammed in den Toyota-Landcruiser und werfe meine Kalaschnikow auf den Rücksitz. Wir reiten die Schlaglöcher des Broadway hinab. Mohammed ist sehnig-schlank, Augen wie schwelende Glut. Er gehört zum Clan des hiesigen Scheichs Natji und hat einen Sprachkurs in London absolviert. Für fünf Dollar am Tag kutschiert er mich in der Gegend herum und zeigt mir alles, was man gesehen haben sollte. Wir haben uns angefreundet, und er ist sehr um mein Wohl besorgt. Er hat jedoch nie akzeptiert, dass ich Koch bin. Für ihn bin ich ein Scheich, der märchenhaft reich sein muss. Stuttgart, das ist ihm ein Begriff. Er kennt die Autos von Mercedes und ist sicher, dass ich viele davon habe. Aber Koch? Nein. Für ihn bin ich der Boss eines Gastronomieimperiums – mindestens. Ein so fetter Kerl, der seinen Ranzen mit Grandezza vor sich herschiebt wie ich, das kann nur ein mächtiger Mann, ein Millionär sein. So entspreche ich auch voll und ganz dem Schönheitsideal des Landes.

Mohammed, ganz auf die Schlaglöcher konzentriert, hebt plötzlich an: „Sir, what about breakfast?“ Ich darauf mit royalem Timbre, fast gehaucht: „Yeah, man, very good idea, my friend.“

Ich bin fast weggedöst, doch die geteerte Straße ist in eine staubige Piste übergegangen. Links und rechts Hütten und Verschläge, mal mit Wellblechvordächern, mal mit Tüchern oder Plastik verhangen. Plötzlich bin ich hellwach: Die Karre stoppt abrupt, dann geht’s in rasendem Rodeo rückwärts. Aha, der Driver hat eine Kneipe entdeckt. Wir stecken in einer dichten Staubwolke, doch Augenblicke später werden wir vom Wirt empfangen, den Mohammed ein wenig von oben herab begrüßt. Innen ist es fast stockdunkel, ich erkenne roh gezimmerte Bretter und gestampften Erdboden. Um einen bauchhohen Steinklotz sind Pfähle in die Erde getrieben, die Bretter in Reih und Glied bilden die Tische. Der Klotz dient als Feuerstelle. Was mal wie Stein ausgesehen hatte, wirkt wie mit dunklem Plastik überzogen: verbrannte Fette der letzten tausend Jahre. In der Mitte befindet sich ein Loch mit einem Gasbrenner. Mohammed fegt zerbeultes Blech von der Stätte der exekutiven Kulinarik. Pfannen, abgesägte Gurkeneimer oder sonstige Konserven, die als Töpfe oder Schöpfer herhalten müssen. Alles ist erdig und staubig, die Einrichtung karg und spärlich.

Mohammed weiß, wie man Köche auf Trab bringt. Er schreit den zitternden Wirt an, er soll seine Ware zeigen, man will frühstücken. Dem Hin und Her der Kehllaute entnehme ich, dass die Speisekammer völlig abgetakelt ist. In kleinen Gläschen mit Goldrand kommt jedoch Tschai – Tee, so stark gesüßt, dass eine deutsche Ernährungsberaterin daran kollabieren würde.

Mein Begleiter kommt auf mich zu und ist beschämt: „This fool no have food, we go to market!“ Er schreit den Wirt an und erklärt mir: „Very stupid man, very dirty equipment. I say clean it up or I will kill you.“ Dabei grinst er wie ein Lausbub nach einer erfolgreichen Schulhofschlägerei. Der Wirt schleicht wie ein Geprügelter zu seinem zerbeulten Gerät. Die Brutalität der Jemeniten ist nur schwer zu beschreiben. Bislang habe ich alle Schwierigkeiten mit Humor neutralisieren können, mich aber wohlweislich dabei stets selbst auf die Schippe genommen. Als Koch und Wirt weiß man, wie man mit Menschen umgehen muss. Irgendwie habe ich so viel Geschick bewiesen, dass ich vor einigen Tagen eine Audienz bei Scheich Natji bekam, mit ihm gekochte Hammelköpfe verspeiste und zum Dessert mit der ganzen Familie an einem Kalaschnikow-Wettschießen teilnahm. Es war eine Riesengaudi, und nachdem man mir zuvor schon einen Krummdolch in den Hosenbund steckte, kam nun noch als Insignie der Männlichkeit die Kalaschnikow dazu. Der Jemenit ist keine Memme, sondern im Grunde seiner Seele ein tapferer Krieger. Deshalb gibt es niemanden, der bereit wäre, irgendwelche niederen Dienste zu verrichten, ganz zu schweigen, den Müll von den Straßen zu klauben.

Der Weg zum Markt ist kurz und führt durch hohe Müllberge. Schon von weitem höre ich den Markt: Kamelgebrüll, Blöken, schreiende Hähne und sonstiges Gegacker. Wir kommen an Hunderten von Kamelen vorbei, die auf Käufer warten. Darauf folgen unter bunten Plastikplanen die Ziegen- und Hühnerhändler. Dazwischen wenige, völlig verhüllte Frauen mit Gemüse und anderen Feldfrüchten. Sehr beeindruckt bin ich von einem Kamelmetzger, der unter einem zerrissenen Zeltdach seine Ware an Holzgestellen feilbietet. Der Stand ist von wild diskutierenden Männern umlagert.

Mohammed, ein Mann mit erlesenem Geschmack, findet nicht das, was er fürs Frühstück sucht. Traditionell kommt nämlich geschnetzelte Leber auf den Tisch. Dazu gibt es Fladenbrot. Wir gehen zu einem anderen Metzgerladen. Da es trotz der Hitze keine Kühlschränke gibt, sieht ein solcher Fleischerladen entsprechend aus: Hinter einem Zaun und unter einer großen Plastikplane findet man eine Art Streichelzoo: Schafe, Hühner in allen Farben, dazwischen kleine Zicklein, alte Ziegen – alles, was sich der Koch in die Pfanne wünscht. Mohammed richtet seine Bestellung an zwei junge Männer in weißen Tüchern, die Händchen halten. Man muss wissen, dass Männer erst an eine Frau herankommen, wenn sie die Hochzeit bezahlen können. Das kann dauern, bis sie dreißig sind. Deshalb sind innige Männerfreundschaften üblich. Die beiden sind etwas störrisch. Ich weiß nicht genau, um was es geht. Mit Mohammed war ausgemacht, dass uns der Wirt ein Kibde, also geschnetzelte Leber rösten soll. Was sollen wir also mit ganzen Ziegen oder Hühnern?

Plötzlich kommt Bewegung in das Idyll. Einer der beiden schnappt sich eine kleine Ziege. Ein Messer blitzt auf, die Ziege steht plötzlich ganz still, als spräche sie ein Gebet. Ein dicker Strahl Blut schießt in den Staub. Der Händler hält das Tier geradezu zärtlich, murmelt ihm etwas zu, es zittert, dann zuckt und strampelt es. Augenblicke später ist es totenstill. Der Mann hat das Zicklein immer noch in den Armen. Die Szene hat biblische Wucht. Doch dann werden beide Hinterläufe des Tiers an ein Holzgestell gehängt. Die Bauchhöhle ist schnell geöffnet. Das Schlitzen geht weiter, wie ich das als Metzger in jungen Jahren auch gelernt habe. Die Gedärme klöddern in den Staub. Herz, Leber und Lunge kommen in einen alten Eimer, die Leber wird vom Geschlinge abgetrennt. Mohammed drückt dem Metzger ein paar Rial in die Hand, dann fährt er mit dem Zeigefinger in die Hauptarterie der Leber.

Mit bluttropfender Innerei schieben wir uns in die dichte Menge. Mit unserer Blutbeute erregen wir nicht die geringste Aufmerksamkeit. Einem Jungen, der mit einigen Säckchen Zwiebeln dealt, kaufen wir die schönsten Exemplare ab. Auch das geht nicht ohne Palaver. Aber bis sich die Fliegen für unsere Beute interessieren, sind wir schon bei unserem Mundkoch angelangt. Die Brettertische sind nass. Der Mann hat inzwischen einen Frühlingsputz gestartet, weil Mohammed mich als deutschen Scheich vorgestellt hatte.

Auf dem Gasbrenner wartet eine Pfanne. Der Koch schneidet die Leber in dünne Streifen, die Zwiebeln ebenso. Er arbeitet geübt und ohne Lärm. Am Küchenstein ist der Teufel los. Gewaltiger Qualm in der Kombüse, der Koch wirft die Leberfetzen in die Pfanne und dünne Zwiebelscheiben hinterher. Eine Wolke von Kreuzkümmelduft zieht über unsere Köpfe. Wir trinken Tee und sind nun ungeduldig. Keine fünf Minuten – und auf Plastiktellern bringt der Koch sein Gericht. Es ist wunderbar. Bessere Leber habe ich zuvor und auch danach nie wieder gegessen. Mein Jubelschrei geht in Richtung Koch, es ist ein gewaltiges Frühstück! Mohammed ist zufrieden und strahlt. Ihm ist wichtig, absolut wichtig, dass die Ehre seines Stammes und der Landschaft gewahrt wurde.

Der Tag begann gut, wir sind im Glück. Mohammed verwaltet die Kasse und begleicht großzügig die Küchendienste. Wir fahren kneifenden Auges in die gnadenlose Sonne.

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