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Archiv-Artikel

No Business like Cannabusiness

Illegal angebauter Hanf war im Jahr 2005 das umsatzstärkste Agrarprodukt der USA – das geschätzte Volumen von 35 Milliarden Dollar überstieg sogar die Weizenernte. Hanf-Aktivisten fordern nun erst recht eine Reform der Cannabis-Gesetze: Statt einen „War on Drugs“ zu führen, solle der Staat sich lieber über potenzielle Steuereinnahmen freuen

VON MATHIAS BRÖCKERS

Hanf, Cannabis sativa, ist nicht nur eine der ältesten Kulturpflanzen der Menschheit, sondern auch eine der einträglichsten. Keine andere Pflanze kann vielfältiger genutzt werden: Hanfsamen liefern eiweißreiche Nahrungsmittel, Hanffasern die haltbarsten Textilien, Papier und Baumaterial, und Hanfblüten eine schon seit Jahrtausenden verwendete Medizin.

Insofern könnte die BBC-Meldung, dass Hanf im Jahr 2005 mit 35,8 Milliarden Dollar das umsatzstärkste Agrarprodukt der USA darstellt, nicht überraschen, wären die Vereinigten Staaten nicht das Land, das 1937 die moderne Cannabis-Prohibition erfand und bis heute mit drakonischen Methoden aufrecht erhält. Jede Art von Hanfanbau ist in den USA verboten; und die in einigen Bundesstaaten wie Kalifornien per Volksabstimmung durchgesetzte Legalisierung für Patienten wird von Washington nach Kräften torpediert.

Trotz der Tatsache, dass die USA zwar nur fünf Prozent der Weltbevölkerung stellen, dort aber nach UN-Schätzungen etwa 50 Prozent aller illegalen Drogen konsumiert werden, haben die Milliardenwerte der jährlichen Cannabisernten aber weniger mit der Genussfreudigkeit der US-BürgerInnen, als vielmehr mit der strengen Prohibition zu tun. Als legales Agrarprodukt hätte ein Kilo Hanfblüten (Marihuana) kaum höhere Gestehungskosten als ein Kilo Kartoffeln oder Kamille – dass es heute im Straßenverkauf bis zu 10.000 Dollar einbringt, ist allein der Illegalität geschuldet.

Jon Gettman, früherer Leiter der National Organization for the Reform of Marijuana Laws (NORML), der die Studie erstellt hat, die Cannabis als Cashcrop Nummer eins identifiziert, bezieht sich auf offizielle Zahlen der Regierungsbehörden. Danach betrug die Marihuana-Ernte 2005 etwa 10.000 Kubiktonnen oder 10 Millionen Kilo; bei Produktionskosten von etwa 3.500 US-Dollar kommt das Kilo im Großhandel für Preise zwischen 6.000 bis 8.000 Dollar auf den Markt. Von der Gesamternte im Wert von über 35 Milliarden Dollar – die jährliche Maisernte repräsentiert einen Wert von 23,3, die von Sojabohnen 17,7 Milliarden Dollar – wird über ein Drittel in Kalifornien eingebracht, gefolgt von den Bundesstaaten Tennessee, Kentucky, Hawaii und Washington. Etwa ein Fünftel der Jahresproduktion wird Indoor unter Kunstlicht gezogen, der Rest wächst im Freien; nicht einmal zehn Prozent der geschätzten Jahresproduktion werden von der Polizei entdeckt und beschlagnahmt.

Seit 1981, als die Reagan/Bush-Regierung den „War on Drugs“ und eine Politik der „Zero Tolerance“ ausrief, hat sich die jährlich produzierte Marihuanamenge verzehnfacht. Nach drei Jahrzehnten sei dies, so Robert Kampa vom Marijuana Policy Project, das die Studie in Auftrag gab, „der klarste Beweis, dass die geltenden Marihuanagesetze völlig gescheitert sind“. Auch eine vergleichende Studie des UN-Drogenkontrollprogramms im Jahr 2004 zeigte dies sehr deutlich auf: Obwohl in den USA 78 Prozent aller Nutzer illegaler Drogen Cannabis konsumieren, tragen sie nur zwölf Prozent zum Gesamtumsatz des Drogenmarkts bei, 88 Prozent der Drogenumsätze werden mit Heroin und Kokain erzielt. In Holland hingegen sieht das Verhältnis ganz anders aus: Nur 40 Prozent entfallen auf die Pulverdrogen, 60 Prozent des Drogenumsatzes wird mit Hanf erzielt. Das heißt im Klartext: Je härter die Repression, desto mehr werden „Hard Drugs“ zum Renner und desto mehr Geld kann auf diesem lukrativen Markt erzielt werden.

Eine Studie der europäischen Kommission unter Leitung des britischen Labour-Abgeordneten Paul Flynn kam 2002 zu demselben Ergebnis. Sie konnte keinen direkten Zusammenhang zwischen der Höhe der Strafen und der Häufigkeit des Konsums feststellen: „Die Drogenpolitik der meisten Staaten scheint auf der Annahme zu beruhen, dass höhere Rechtsstrafen den Konsum begrenzen. Jedoch geht aus den Daten klar hervor, dass der Gebrauch von Cannabis in den Niederlanden – wo Besitz und Transport von ‚Eigenbedarfsmengen‘ nicht bestraft werden – erheblich niedriger ist als in Großbritannien, wo die Rechtsstrafen relativ hart sind.“

Die US-Aktivisten von NORML fordern angesichts der neuen Zahlen nun einmal mehr, die Cannabisgesetze zu reformieren und über einen kontrollierten Anbau und die Abgabe an Erwachsene nicht nur immense Steuereinnahmen zu erzielen, sondern vor allem auch für wirksamere Prävention und Jugendschutz zu sorgen. Das Weiße Haus lehnt solche Forderungen kategorisch ab. Tim Riley, Sprecher der National Drug Control Policy wollte zwar die in der Studie genannten Zahlen nicht im Detail bestätigen, bezifferte aber den Gesamtumsatz illegaler Drogen in den USA auf 200 Milliarden Dollar. Jede Kursänderung in der Politik lehnte er ab: „Das ist kein Weg, den wir beschreiten sollten.“ Als Grund verwies er auf die „Probleme“, die Kolumbien mit der Cocapflanze und Afghanistan mit dem Mohnanbau hätten. Diese „Probleme“ beruhen freilich weniger auf dem in diesen Ländern angestammten Umgang mit diesen Pflanzen und ihren Produkten, sondern eher auf dem von den USA angeführten globalen „War on Drugs“, einem Krieg, der ähnlich wie der „War on Terror“ die Opfer produziert, die er zu retten vorgibt. Dass sich Drogenkonsum mit Krieg genauso wenig eindämmen lässt wie sich Selbstmordanschläge verhindern lassen – diese simple Gleichung wird von der Verzehnfachung der Hanfernte in 30 Jahren „Zero Tolerance“ eindringlich bestätigt.

Warum hält die US-Regierung dennoch an dieser kontraproduktiven Methode fest? Harry Anslinger, der erste US-Drogenzar, der die Hanfprohibition 1937 durchsetzte, sagte später dazu einmal: „Sicher ist Marihuana eher harmlos, aber Verbote steigern die Autorität des Staats.“ Dieser Statusgewinn und nicht eine vernünftige Gesundheitspolitik scheint bis heute einer der wichtigsten Antriebe des Drogenkriegs zu sein. Die vergangenen Monat veröffentlichte neueste Gefängnisstatistik des US-Justizministeriums zeigt nicht nur, dass die USA nach wie vor den Weltrekord im Einsperren halten – die Einkerkerungsrate ist siebenmal höher als in Westeuropa – ein Drittel aller Insassen, insgesamt zwei Millionen Menschen, sitzt nur wegen Drogenbesitzes im Gefängnis. Die Mehrheit von ihnen wegen nichts anderem als Hanf.

Da sich nach der unter Bill Clinton vorangetriebenen Privatisierung des Gefängniswesens die Knastarbeit dank ihrer Sklavenlöhne zu einem boomenden Geschäft entwickelt hat, sorgt die Prohibition hier für einen nicht versiegenden Zufluss an Arbeitskräften. Insofern gilt mittlerweile nicht nur für die Agrarpflanzen, sondern auch für das Knastgeschäft: „There’s no business like Cannabusiness“.