: „EU-Regierungen kooperierten“
Gesprächsprotokolle belegen, dass die EU-Staaten von Geheimgefängnissen der CIA wussten. Deutschland und Polen sind bisher nicht zu Aussagen in Brüssel bereit
AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER
Wenn John Bellinger, Chefjurist von Condoleezza Rice, mit europäischen Rechtsexperten verhandelt, dann verläuft die juristische Spiegelfechterei ungefähr so: Die USA und alle anderen rechtschaffenen Nationen befinden sich im Krieg gegen al-Qaida. Da al-Qaida die Genfer Konvention zur Behandlung von Kriegsgefangenen nicht unterzeichnet hat, brauchen gefangene Al-Qaida-Kämpfer auch von den Europäern und den Amerikanern nicht nach den Spielregeln dieser Konvention behandelt zu werden.
Aus zwei Gesprächsprotokollen von Februar und Mai dieses Jahres, die der taz vorliegen, geht hervor, dass die EU-Juristen sich nach Kräften gegen diese Logik zur Wehr setzen. Gefangene überall in der Welt hätten einen Anspruch auf rechtsstaatliche Mindeststandards – „auch in Fällen von Zwangsüberstellungen (sogenannten renditions).“
Die EU-Juristen stellen irritiert fest, dass sie sich kein klares Bild hätten machen können, welche juristischen Folgen das „Kriegsparadigma“ habe. „Ein Zustand bewaffneten Konflikts im juristischen Sinne legt nahe, dass jedermann überall in der Welt, bei dem eine Verbindung zu al-Qaida vermutet wird, ein rechtmäßiges Ziel darstellt und dass zivile ‚Kollateralschäden‘ unabhängig von der Nationalität der zivilen Opfer in Kauf genommen werden müssen.“
Die Protokolle, deren Auszüge Anfang des Monats in der italienischen Presse veröffentlicht wurden, enthüllen aber auch, dass zumindest die österreichische Regierung, die bis Ende 2005 den Vorsitz in der Europäischen Union führte, einer engeren Zusammenarbeit mit den US-Geheimdiensten bei Verschleppungen nicht abgeneigt war. Mehrfach wird die Möglichkeit erwogen, einen „Rechtsrahmen für Rückführungen“ zu schaffen, der diese Aktionen für die europäische Öffentlichkeit akzeptabel machen soll.
Über rechtliche Möglichkeiten der Sicherheitsverwahrung von Terroristen denen gerichtstauglich nichts nachgewiesen werden kann, müsse nachgedacht werden. „Die Unschuldsvermutung ist wesentlich und muss weiter gelten. Es gibt aber gute Gründe, mit unverstelltem Blick erneut die Frage vorbeugender Sicherheitsverwahrung zu prüfen“ (Protokoll vom 8. Februar).
Bellinger macht in den Gesprächen mehrfach klar, warum die US-Regierung überhaupt mit den Europäern zu einer Einigung kommen möchte. Mehreren Regierungen säßen Untersuchungsausschüsse im Nacken. Die öffentliche Meinung in Europa habe sich gegen die amerikanischen Methoden beim Kampf gegen den Terror gewandt. Das erschwere zunehmend die gute und bewährte Zusammenarbeit zwischen US-amerikanischen und europäischen Geheimdiensten und damit den Kampf gegen den internationalen Terrorismus.
Wie wunderbar diese Zusammenarbeit funktioniert, zeigen zwei Gespräche, die Europaabgeordnete aus dem CIA-Untersuchungsausschuss im Mai dieses Jahres mit ehemaligen CIA-Mitgliedern führten. Der als vertraulich eingestufte Bericht darüber, der der taz vorliegt, fasst die Aussagen der ehemaligen Geheimdienstler so zusammen: „Es gab traditionell eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen der CIA und den europäischen Geheimdiensten. Das gilt besonders für Deutschland, Frankreich, Italien und die östlichen EU-Länder.“
Die Gesprächspartner bezeichnen es als „sehr klar“, dass die Behörden derjenigen Länder, aus denen „außerordentliche Überstellungen“ (renditions) stattgefunden hätten oder wo Geheimgefängnisse eingerichtet waren, von den illegalen Vorgängen unterrichtet waren. Es sei aber denkbar, dass diese Informationen in einzelnen Fällen nicht auf die Ministerebene hinaufgelangt seien.
Derartige Rückführungen hätten nicht erst nach dem 11. September 2001 begonnen. Vielmehr seien während des Bosnienkrieges mehrere vermutliche Al-Qaida-Mitglieder verschleppt worden. Doch erst seit den Anschlägen auf das World Trade Center seien CIA-Mitarbeiter bei Folterungen in ausländischen Gefängnissen dabei.
Die CIA-Mitarbeiter schätzen, dass es in den letzten Jahren 30 bis 50 Fälle von Verschleppungen gegeben hat. Deshalb empfiehlt Chefjurist John Bellinger seinen europäischen Kollegen in dem Gespräch vom Februar, das Problem „statistisch“ zu sehen. In der Öffentlichkeit werde die Zahl der „Rückführungen“ stark übertrieben. „Statistiken können im juristischen Sinn keine Entschuldigung sein“, antworten darauf beruhigend nüchtern die EU-Rechtsexperten.
Was die Zusammenarbeit mit europäischen Regierungen angeht, bestätigt Bellinger indirekt in dem Gespräch am 3. Mai die Aussagen der ehemaligen CIA-Mitarbeiter: „Im Allgemeinen kooperierten die Regierungen. Ich kann aber nicht ausschließen, dass wir gelegentlich ohne Zustimmung gehandelt haben, wenn ein Land keine Regierung hatte oder wo es vergeblich gewesen wäre, auf eine Zusammenarbeit zu hoffen.“
Aus den Protokollen der Gespräche mit dem Juristen Bellinger wird ebenso wie aus den Mitschriften der Äußerungen von US-Außenministerin Condoleeza Rice beim Abendessen des Atlantikrats vor einem Jahr eines deutlich: Die USA sehen sich nur deshalb dazu gedrängt, ihre Position besser zu erklären und mit den EU-Partnern zu einer juristischen Vereinbarung zu kommen, weil ihnen die Menschenrechtsorganisationen und die verschiedenen CIA-Untersuchungsausschüsse im Nacken sitzen. Deshalb fordert der CIA-Ausschuss des Europaparlaments in seinem gestern veröffentlichten vorläufigen Bericht die Parlamente der Mitgliedsstaaten auf, die Rolle ihrer Regierungen genau unter die Lupe zu nehmen.
Der Ausschuss tagt noch bis Ende Januar. Gerne würde er ein Mitglied der Bundesregierung zu den Vorwürfen anhören. Alle EU-Regierungen haben schon Vertreter in den Ausschuss geschickt – nur Deutschland und Polen gehen den Fragen der Europaabgeordneten bislang beharrlich aus dem Weg.
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