: „Ohne Optimismus“
Die kritische russische Journalistin Olga Kitowa über die Ermittlungen im Fall Anna Politkowskaja und ihre eigene Verfolgung durch Provinzfürsten
INTERVIEW MASCHA RYBAKOWA
taz: Frau Kitowa, Russlands Präsident Wladimir Putin hat nach dem Tod von Anna Politkowskaja gesagt, dass dieser Mord der Staatsmacht mehr geschadet hat als alle ihre kritischen Berichte. Was halten Sie davon?
Olga Kitowa: Völlig einverstanden. Ich bin davon überzeugt, das es nicht unsere Staatsmacht war, die diesen Mord organisiert hat. Ich denke, er war ein Geschenk für den tschetschenischen Regierungschef Ramsan Kadyrow zu seinem 30. Geburtstag und wurde von Leuten aus seinem Kreis organisiert.
Glauben Sie, dass man die Schuldigen findet und bestraft?
Nein. Das war ein Auftragsmord und solche Fälle werden nicht nur in Russland, sondern auch in anderen Ländern nur sehr selten aufgedeckt. Der Politkowskaja-Fall wird da keine Ausnahme sein. Ich bin mir sicher, dass der Killer, der Anna getötet hat, auch schon beseitigt wurde.
Sie mussten Ihre Heimatstadt Belgorod verlassen, weil Sie wegen Ihrer kritischen Berichterstattung massiv bedroht und mit mehreren Verfahren überzogen wurden. Jetzt arbeiten Sie in Moskau. Was hat sich für Sie verändert?
Moskau ist im Vergleich zu den Regionen wie ein anderes Land. In Moskau sind Journalisten immer noch viel besser gesetzlich geschützt. Das klingt jetzt vielleicht seltsam, weil Politkowskaja ja dort ermordet wurde, aber sie wurde ermordet wegen ihrer Arbeit in Tschetschenien. Die Kollegen, die in der Provinz arbeiten, sind gar nicht geschützt. Dort wird alles von lokalen Machteliten kontrolliert. Es gibt fast keine Journalisten, sondern nur Kellner: Wenn eine Speise bestellt wird, muss diese Speise serviert werden. Und viele sind damit sogar einverstanden.
Trotzdem berichten Sie weiter über Missstände in Belgorod. Der dortige Gouverneur versucht jetzt, Sie mit wirtschaftlichen Mitteln unter Druck zu setzen. Wie sieht das aus?
Ich bin die teuerste Journalistin Russlands. Der Gouverneur des Belgoroder Gebietes, Jewgeni Sawtschenko, hat jetzt meine Zeitung Moskowski Komsomolez auf Entschädigung verklagt und gewonnen. Eine Million Rubel [rund 300.000 Euro, die Red.] muss die Zeitung zahlen. Dabei hatte sich zunächst niemand über meine Veröffentlichungen beschwert. Auch Sawtschenko hat den Inhalt meiner Artikeln nicht dementiert. Kann er auch nicht, weil ich alles mit Dokumenten beweisen kann. Nur einzelne Formulierungen gefallen ihm nicht. Deswegen hat er gesagt, dass er durch meine Artikel seelisch gelitten hätte. Und diese Leiden hat er auf eine Million Rubel beziffert. Das Gericht hat ihm natürlich Recht gegeben, weil es von ihm kontrolliert wird. Derzeit sind noch mehrere Beschwerden von Sawtschenko gegen mich und meine Redaktion anhängig. Ich fürchte jetzt, dass sich meine Zeitung von mir trennt, weil ihr das zu teuer wird.
Wie sind Ihrer Meinung nach die Perspektiven für die Pressefreiheit in Russland?
Mit dem Mord an Anna Politkowskaja ist ein wichtiges Kapitel in der Geschichte des russischen Journalismus beendet worden. In die Zukunft schaue ich ohne jeden Optimismus.
Ist es überhaupt möglich, diese Situation zu verbessern?
Nur wir Journalisten selbst können etwas ändern. Und dafür müssen wir ehrlich arbeiten. Wenn nur einer die Wahrheit schreibt, kann er getötet werden. Wenn aber Tausende das tun, dann nicht. Man kann nicht alle Journalisten vernichten.
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