: Selbsthilfe gegen rechts
Weil die Polizei nicht eingreift, jagt die Bevölkerung im thüringischen Artern rechte Schläger durch die Stadt. Örtliche Politiker bekunden Sympathie
VON DOMINIK SCHOTTNER
Bewohner der nordthüringischen Stadt Artern haben ein neues Mittel in den Kampf gegen Rechtsradikale eingebracht: Selbstjustiz. Am vergangenen Samstag haben rund 100 Arterner eine Gruppe von 20 rechten Schlägern vom Stadtfest „Zwiebelmarkt“ vertrieben und anschließend durch den Ort gejagt. Drei der 20 Rechten suchten Zuflucht in der Polizeiwache. Die 17 anderen wurden während der Jagd durch die Innenstadt von ihren Verfolgern geschnappt und verprügelt, sagte ein Polizeisprecher der taz. Sechs Nazis mussten ambulant im Krankenhaus behandelt werden, einer von ihnen wurde eine Nacht zur Beobachtung dort behalten.
Ausgangspunkt der Auseinandersetzung waren zunächst folgenlos gebliebene Wortgefechte zwischen den Festbesuchern und den Neonazis bereits vor Mitternacht. Gegen 0.30 Uhr schlugen vier Nazis dann einen 21-Jährigen zusammen, woraufhin die Situation eskaliert sei, berichteten Augenzeugen der Thüringer Allgemeinen. Rund 100 Festbesucher forderten die Schläger demnach auf, den Festplatz zu verlassen. Da sich diese weigerten, verwiesen die Arterner die Nazis prügelnderweise des Platzes und scheuchten sie durch die Innenstadt.
Der Arterner Bürgermeister Wolfgang Koenen (PDS) sagte der taz, er habe Verständnis für die Reaktion seiner Bürger: „Vielleicht hatten sie einfach die Nase voll von den Pöbeleien.“ Zwar gebe es in Artern weder eine starke linke noch eine starke rechte Szene, so Koenen. Doch gerade zum Zwiebelmarkt seien immer wieder Neonazis aus benachbarten Bundesländern gekommen, um Unruhe zu stiften. Auch Nazis vom Samstag waren mehrheitlich aus Sachsen-Anhalt und Sachsen angereist, wohin sie von der Polizei nach dem Vorfall auch wieder gebracht worden sind.
Die örtliche Bundestagsabgeordnete Kersten Naumann (Die Linke/PDS), findet die Reaktion ebenfalls „völlig richtig“. Die Bewohner müssten sich gegen die Rechten zur Wehr setzen, wenn das die Polizei schon nicht tue. Am Samstag hatte die Polizei nach Zeugenaussagen nur eine untergeordnete Rolle bei der Lösung des Konflikts gespielt. So seien zu wenig Beamte vor Ort gewesen, die sich zudem vornehm zurückhielten, anstatt einzugreifen. Naumann sagte der taz, dies sei ein grundlegendes Problem: „Es gibt in der Region zu wenig Polizei.“
Der Rechtsextremismus-Experte David Begrich vom Magdeburger Verein Miteinander e.V. kritisierte die Reaktion der Arterner. „Das ist ein Verstoß gegen die Regeln der Auseinandersetzung mit Neonazis“, sagte er der taz. Zwar sei der Vorfall eine Ausnahme, weil die Nazis bei ihren Übergriffen sonst zahlenmäßig in der Mehrheit seien. Eine gewaltfreie Lösung sei aber in jedem Fall die bessere Variante.
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