„In Schweden bleibt alles anders“

Die Konservativen in Schweden haben gewonnen, weil sie die Sozialdemokraten kopiert haben. Sie haben Tony Blair imitiert. Und sie werden den schwedischen Wohlfahrtsstaat verändern, meint der Sozialforscher Joakim Palme

taz: Herr Palme, bei den Wahlen in Schweden wurde kürzlich die sozialdemokratische Regierung abgewählt? Warum?

Joakim Palme: Die Regierung Göran Perssons hat 12 Jahre regiert. Wer so lange regiert, hat es schwer, an der Macht zu bleiben. Da baut sich fast automatisch eine Wechselstimmung auf.

Hatten die Leute Persson satt?

Er hat fast wie ein autoritärer Landesvater agiert. Das hat vielen nicht gefallen. Aber natürlich erklärt das nicht alles.

Was dann? Die Regierung war doch ganz erfolgreich.

Sehr sogar. Die Wirtschaft läuft extrem gut, es gibt hervorragende Wachstumsraten, die Staatsfinanzen sind in einem guten Zustand – es gibt sogar einen Budgetüberschuss. Auch die sozialpolitischen Programme funktionieren. Was die Opposition aber sehr geschickt genutzt hat, war die Arbeitsmarktsituation. Trotz des Wachstums liegt die Arbeitslosenrate bei sechs Prozent.

Auch die viel gerühmten schwedischen Sozialdemokraten haben kein Mittel gegen die Langzeitarbeitslosigkeit?

Ja und nein. Viele der Arbeitslosen sind Immigranten, die nicht über die hohe Qualifikation verfügen, die den Großteil der schwedischen Arbeitskräfte charakterisiert. Darüber hinaus waren viele Menschen ein paar Wochen oder Monate ohne Job. Strukturelle Langzeitarbeitslosigkeit, wie etwa in Frankreich oder Deutschland, gibt es in Schweden weniger.

Und dennoch wurde die Regierung abgestraft?

Den schwedischen Wählern hat auch unser Arbeitslosigkeitsproblem gereicht. Schließlich zahlen auch jene, die nicht von Arbeitslosigkeit betroffen sind, einen Preis – sie finanzieren ja die Unterstützung für die Arbeitslosen. Die Wähler vergleichen die Lage in Schweden nicht mit Deutschland. Sie sind anderes gewohnt und haben deshalb andere Ansprüche – vielleicht auch unrealistische. Die Opposition hat das geschickt ausgenützt.

und sich als bessere Sozialdemokratie präsentiert?

Ja. Entscheidend war, dass die Konservativen in die Mitte gerückt, auf eine quasi-sozialdemokratische Pro-Wohlfahrtsstaat-Position eingeschwenkt sind. Sie haben ihre neoliberalen Programme einfach aufgegeben.

Tony Blair hat „New Labour“ scharf nach rechts geführt, um die Tories zu besiegen. Haben die schwedischen „Neuen Moderaten“ die Kurve also in die andere Richtung genommen?

Na klar. Die Konservativen haben nicht nur die Strategie, sondern auch den Stil Blairs kopiert. Sie haben sich als die frischen, neuen Konservativen präsentiert, die die Vergangenheit hinter sich gelassen haben. Sie haben sich das einfach aus dem Strategiebuch der Blair-Leute abgeschaut.

Vielleicht haben die Schweden 75 Jahre sozialdemokratische Hochsteuerpolitik satt.

Nein, die Konservativen haben doch gewonnen, weil sie ihren Kampf gegen diese Politik aufgegeben haben. Die neuen Konservativen sind Realisten, sie wissen, wie Schweden tickt.

Heißt das, alles bleibt eigentlich beim Alten?

Natürlich haben die Konservativen auch konkrete Vorschläge, die das schwedische Wohlfahrtssystem in eine andere Richtung lenken. Vom schwedischen Wohlfahrtssystem profitiert auch die Mittelklasse. Die Konservativen wollen hier sparen. Damit wird aus dem Wohlfahrtssystem aber tendenziell ein System der Armenfürsorge.

Ist der neue Premier Reinfeldt der schwedische Blair?

Er ist extrem geschickt. Er hat die alte neoliberale Führung in seiner eigenen Partei zur Seite gedrängt und auch die anderen Mitte-rechts-Parteien effizient in seine „sozialkonservative“ Strategie eingebunden. Ob er ein guter Regierungschef wird, ist nicht so klar.

Wieso die Skepsis?

Er hat schon mehrmals konkrete Politikvorschläge gemacht und sie, wenn es Widerstand gab, wieder zurückgezogen hat. Seine konkrete praktische Politik schien oft etwas undurchdacht.

Herr Palme, ist es nicht ironisch, dass ausgerechnet in einer Zeit, wo viele in Europa das „skandinavische Modell“ lobpreisen, die schwedische Sozialdemokratie abgewählt wird?

Ja, das ist ein Treppenwitz der Geschichte. Absolut.

Zweimal wurde die Sozialdemokratie in Schweden in den vergangenen siebzig Jahren abgewählt – und waren schnell wieder an der Macht. Und diesmal?

In den siebziger und den neunziger Jahren kamen die Konservativen mitten in einer schweren Rezession an die Macht – das hat ihnen das Regieren nicht gerade erleichtert. Jetzt haben sie eine bessere Ausgangsposition.

Also kann es länger dauern?

Bisher war es gleichsam das Schicksal Schwedens, sozialdemokratisch zu sein. Aber die Zeiten ändern sich. Es gibt keine Garantie, dass sich die schwedische Sozialdemokratie schnell wieder fängt. INTERVIEW: ROBERT MISIK