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Immer Ärger mit Herrn K.

Auf dem 46. Deutschen Historikertag in Konstanz hadern die Experten mit der medialen Vermittlung von Geschichte, vor allem mit dem Fernsehmann Guido Knopp. Die Durchschlagskraft seines Erfolgs hätte man auch gern – nur ohne die oberflächliche Gefühligkeit seiner ZDF-Dokumentationen

Die Historiker spekulieren auf den demografischen Faktor – ohne Zeitzeugen ist es mit Knopps Sendungen zur NS-Zeit bald vorbei

VON RALPH BOLLMANN

Zielgenau trat der baden-württembergische Ministerpräsident mitten in den Fettnapf. Wie populär die Historie auch in einer breiteren Öffentlichkeit sei, sagte Günther Oettinger zur Eröffnung des Kongresses, lasse sich an der „breiten Resonanz für Guido Knopp“ und dessen Geschichtsfernsehen ablesen. Da war es mit der Ruhe vorbei. Die versammelten Historiker raunten und murrten so lautstark wie die Menge im Fußballstadion, wenn die eigene Mannschaft gerade ein Eigentor geschossen hat.

Zu diesem Zeitpunkt konnte Oettinger nicht voraussehen, dass er mit der Erwähnung des fatalen Namens das heimliche Leitmotiv des 46. Deutschen Historikertags vorweggenommen hatte, der am gestrigen Freitag in Konstanz zu Ende ging. Um „Geschichtsbilder“ sollte es diesmal gehen – ein großes Thema, das auf dem Kongress eine erstaunliche Engführung erfuhr. Auf den ganz großen Podien ging es vornehmlich um Fernsehbilder, und es ging um einen Mann, der für die meisten Historiker das Böse schlechthin verkörpert: um Guido Knopp, den Leiter der Redaktion „Zeitgeschichte“ beim Zweiten Deutschen Fernsehen.

Der Vorwurf, „populär“ zu schreiben oder gar „journalistisch“, kann jeder wissenschaftlichen Karriere noch immer den Todesstoß versetzen. Es wäre aber ein gründliches Missverständnis, die Historiker deshalb für weltabgewandt und uneitel zu halten. Sie wollen durchaus beachtet werden, vor allem aber wollen sie das von ihnen entworfene Geschichtsbild auch zum Geschichtsbild einer breiten Masse machen. Das ist es, was ihnen den Mann vom ZDF so verhasst macht: Er hat den Erfolg, den sie sich wünschen, aber er nutzt ihn nicht, um das Volk in ihrem Sinn zu bilden.

So böse ist Guido Knopp in den Augen der Historiker, dass sie nicht mal seinen Namen nennen. Verstärkt wurde der Effekt durch die körperliche Abwesenheit Knopps, der seine Teilnahme aus Termingründen abgesagt hatte. Drei Tage lang war stets von „Herrn K.“ die Rede – keine Anspielung aufs Brecht-Jahr, sondern vielmehr auf den Geschichtsschreiber Golo Mann, in dessen „Deutscher Geschichte“ Adolf Hitler immer nur als „H.“ vorkommt. Das sollte Knopp gleich doppelt charakterisieren. Zum Ersten als Exponenten des größten denkbaren Zivilisationsbruchs im Medium Fernsehen, zum Zweiten in seiner geradezu manischen Fixierung auf die Nazizeit.

Diese Vorliebe für die Zeitgeschichte hat auch damit zu tun, dass Knopp für sein Geschichts-TV ohne Überlebende nicht auskommt, die den Sendungen eine emotionale Dimension verleihen. Zeitzeugen aber sind nach einem verbreiteten Bonmot die natürlichen Feinde des Historikers. Unzulänglich, wie das menschliche Gedächtnis ist, können sie zur Klärung der Faktenlage nicht viel beitragen, zur distanzierten Einordnung erst recht nicht. Mit dem Beharren auf ihrer eigenen Erinnerung stehen sie der professionellen Geschichtswissenschaft im Weg.

Am liebsten wäre den Historikern die Rückkehr zum Experten- und Erklärfernsehen, das die öffentlich-rechtlichen Anstalten bis in die Achtzigerjahre als verlängerter Arm der Geschichtswissenschaften praktizierten. In den Sendungen durften Wissenschaftler zu langatmigen Erklärungen ausholen, das gemächlich geschnittene Bildmaterial wurde mit kritischen Kommentaren in Schulfunkmanier versehen. Staatlich bezahlte Professoren verbreiteten im Staatsfernsehen eine quasi amtliche Version der Geschichte: Dieses Verfahren mochte in den Nachkriegsjahrzehnten alternativlos sein, wollte man nicht den alten Nazis die Mikrofone überlassen. Besonders demokratisch war es nicht. Das tiefe Misstrauen gegenüber den Zeitzeugen, so der Bochumer Juniorprofessor Frank Bösch, war eine „spezifisch deutsche Entwicklung“.

Auch jene Minderheit der Experten, die eine solch kritische Distanz zur eigenen Profession wahrte, war sich in Konstanz allerdings einig: So wie Knopp muss man es nicht machen. Der Jenaer Zeithistoriker Norbert Frei bezeichnete das Verfahren des ZDF-Manns gar als „Geschichtspornografie“. Das Knopp-Fernsehen mache „Lust auf Erkenntnis, befriedigt sie aber nicht – schon weil man sich seine Kunden erhalten will“. Damit hatte der auf dem Historikertag allgegenwärtige Frei, der in die Rolle des ersten repräsentativen Großhistorikers in der Generation der unter Sechzigjährigen hineinzuwachsen scheint, den Common Sense des Fachs formuliert.

Recht unverhohlen spekulierten die in Konstanz versammelten Historiker auf den demografischen Faktor, der dem Knopp’schen Zeitzeugen-TV zumindest in Bezug auf die quotenträchtige Nazizeit wohl bald den Garaus machen dürfte. Wenn nicht die Söhne und Töchter der Akteure als vermeintliche Zeitzeugen herangezogen werden. Der Fernsehjournalist Thomas Fischer vom Südwestrundfunk machte den Historikern deshalb die Hoffnung, dass ihre eigenen Gesichter bald wieder häufiger auf dem Bildschirm zu sehen sind. Zumal es mittlerweile auch Experten gebe, die „zugespitzt und allgemein verständlich“ reden könnten. Das zumindest hatte Frei mit seinem Pornografiezitat bewiesen.

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