piwik no script img

von schildkröten und menschen von RALF SOTSCHECK

Was für ein ruhiges Leben könnte die britische Regierung führen, gäbe es nicht diese lästigen Gerichte. Sie funken einem nicht nur bei der schönen Anti-Terror-Gesetzgebung dazwischen, bloß weil ein paar Menschenrechte dabei auf der Strecke bleiben. Nun haben sich die Richter auch noch auf die Seite der Eingeborenen einer britischen Kolonie geschlagen, die auf der Entwicklungsstufe von Robinson Crusoes Neger Freitag stehen. Vor kurzem bezeichnete der Londoner High Court die Umsiedlung von 2.000 Chagos-Insulanern zwischen 1967 und 1973 als „widerwärtig und rechtswidrig“. Das Londoner Außenministerium hatte damals in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Bewohner der Inselkette im Indischen Ozean, die offiziell „British Indian Ocean Territory“ heißt, auf ein Handelsschiff verfrachtet. Darunter waren zahlreiche schwangere Frauen, von denen einige Fehlgeburten erlitten. Die Leute wurden in den Slums von Mauritius abgesetzt, ihre in der Heimat verbliebenen Tiere vergast. Denis Greenhill, der damalige Chef des diplomatischen Dienstes, tat die Menschen als „ein paar Tarzans und Freitags“ ab.

Die Vertreibung geschah auf Wunsch der USA, die auf einer der Inseln, Diego Garcia, einen Militärstützpunkt errichten wollten. Von dort aus wurden die Bombenangriffe auf Afghanistan und den Irak geflogen. Im Gegenzug für die Überlassung der Insel für 50 Jahre erhielten die Briten einen hübschen Rabatt auf die Atomraketen für ihre Polaris-U-Boote. Ursprünglich wollten die Amerikaner ihren Stützpunkt auf der Insel Aldabra errichten, die ebenfalls den Briten gehört und näher an Afrika liegt. Doch auf Aldabra lebt eine seltene Schildkrötenart. Die Einwohner von Chagos waren weniger selten, obwohl es sie offiziell gar nicht gab: 1968 hieß es in einem geheimen Regierungspapier mit dem Titel „Aufrechterhaltung des Märchens“, dass man weiterhin behaupten müsse, die Chagossianer hätten nie auf der Insel gelebt. Sie seien dort nur vorübergehend als Arbeitskräfte gewesen.

Im November 2000 urteilte das Londoner Gericht, dass die Vertreibung unrechtmäßig gewesen sei. Der damalige Außenminister Robin Cook erkannte das Urteil an – jedenfalls für einen Augenblick. Dann rief George W. Bush bei seinem Mitarbeiter Tony Blair an. Der wandte das königliche Vorrecht an und erklärte das Urteil für nichtig. So musste man sich nicht mal die Mühe machen, den Fall dem Parlament vorzulegen. Aber die Regierung zeigte sich großzügig. Anfang des Jahres charterte sie ein Schiff und brachte hundert Chagossianer auf die Insel, damit sie die Gräber ihrer Verwandten pflegen konnten. Nachdem die Friedhofsblumen gegossen waren, mussten die Leute wieder zurück in ihre Slums auf Mauritius.

Das Gericht verwarf vor ein paar Wochen das königliche Vorrecht in diesem Fall: Schließlich sei Blair nicht die Königin, auch wenn er sich manchmal so aufführt. Olivier Bancoult, der Sprecher der Inselbewohner, forderte die Regierung auf, sich endlich an das Urteil zu halten. Er hätte wissen müssen, wie verpudelt diese Regierung ist. Das Herrchen aus Washington pfiff, und Außenministerin Margaret Beckett hat Berufung eingelegt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen