Armut mit 67: KOMMENTAR von BARBARA DRIBBUSCH
Die Einflüsterungen kommen von allen Seiten: In den Medien ist von Gehirntraining, Kreativität und Fitness die Rede. Altersforscher erzählen uns, dass wir jung bleiben können, wenn wir nur jeden Morgen eine Dreiviertelstunde joggen und im Beruf stets nach neuen Herausforderungen suchen. Sozialpolitiker wollen uns weismachen, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis die Wirtschaft den Erfahrungsschatz der Älteren zu heben weiß und diese nicht mehr mit hohen Abfindungen loswerden will.
Hinter diesen Suggestionen ist die Angst zu riechen – die Angst, dass alle Versuche, mit der Alterung umzugehen, nicht friedlich, sondern mit neuen Verteilungskämpfen einhergehen werden. Das zeigt sich auch in der neu aufgeflammten Debatte um die „Rente mit 67“: Nach Einschätzung eines Expertengremiums der Bundesregierung wird die „Rente mit 67“ für große Teile der Bevölkerung nicht funktionieren.
Schon Forscher des Nürnberger IAB-Instituts hatten kürzlich davor gewarnt, dass ein späteres Zugangsalter zur gesetzlichen Rente Leute in geringer qualifizierten Tätigkeiten erheblich benachteiligen könnte. Angehörige von Mittelschichtsberufen können sich durch eine abwechslungsreiche Tätigkeit länger fit halten. Beschäftigte in monotonen Tätigkeiten verdienen nicht nur weniger Geld, sondern werden auch eher chronisch krank und verlieren leichter den Job. Aber auch Menschen in echten Stressberufen wie Altenpflegerinnen oder Sozialarbeiter werden meist nicht bis 67 durchhalten.
Wer sich besonders aufreiben muss, wird am Ende noch bestraft: wahrscheinlich mit langen Jahren auf Arbeitslosengeld II bis hin zur dann nur noch kleinen Rente, für deren Aufstockung das Ersparte draufgeht, bis man am Ende bei der „Grundsicherung im Alter“ landet, 345 Euro im Monat plus Miete. Wenigstens das Niveau bleibt übersichtlich.
Die „Rente mit 67“ bedeutet in Wirklichkeit also für viele „Armut mit 67“. Arme sterben früher, auch in Deutschland. Sozialpolitik wird so zur Körperpolitik. In einer alternden Gesellschaft, die kaum Konzepte hat für den Umgang mit Vergänglichkeit, Verkleinerung und Verfall, wird damit der Körper zum Schlachtfeld der Zukunft.
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