: Wie dekliniert man „Hurensohn“?
Junge Arbeitslose sollten im Rahmen einer Qualifizierungsmaßnahme einen zweifelhaften Deutschtest absolvieren
Wie nah dran an ihren jugendlichen Klienten sind Berlins Jobcenter? Bei einer im Auftrag des Jobcenters Tempelhof-Schöneberg durchgeführten Qualifizierungsmaßnahme mussten sich die Teilnehmer im vergangenen März einem merkwürdigen Grammatiktest unterziehen: Eine beim Verein Kubus e.V. beschäftigte Sozialarbeiterin formulierte darin Aufgaben der etwas anderen Art. Beispiele: „Dekliniere das Wort ‚Hurensohn‘. Verfahre ebenso mit den Verben ‚bumsen‘, ‚vögeln‘, ‚poppen‘“ oder „Analysiere den Satz: ‚Mittwochs poppe ich nur mit ausdrücklicher Erlaubnis meiner Mutter‘.“
„Arbeitsamt zwang ihn zu perversem Sex-Test“, titelte gestern das Springerblatt B.Z. Ricky F., einer der Kursteilnehmer, hatte dem Boulevardblatt seine Empörung in den Block diktiert: „Ich fand den Test einfach nur widerlich.“ Er habe sich geweigert, den „Sex-Test“ zu machen und die Qualifizierungsmaßnahme abgebrochen. Daraufhin habe man ihm das Arbeitslosengeld gestrichen, so die B.Z. weiter.
Was absurd klingt, hat sich tatsächlich so zugetragen, allerdings unter anderen Vorzeichen. Die Arbeitsagentur Berlin-Süd bestätigt die behördliche „Sexualaufklärung“. Sprecher Uwe Mählmann betont jedoch verärgert: „Die B.Z.-Überschrift stimmt nicht. Dem jungen Mann wurde das Geld nicht gestrichen.“ Außerdem sei das Jobcenter sofort aufgefordert worden, den Test abzustellen, nachdem der Inhalt bei einer Routineüberprüfung bekannt geworden sei.
Auch beim Träger Kubus ist man zerknirscht über die Berichterstattung in der Boulevardpresse. Laut Geschäftsführer Siegfried Klasen handelte es sich bei dem Grammatik-Test um eine einmalige Angelegenheit – als Reaktion auf einen Vorfall im Gebäude, in dem die Qualifizierungsmaßnahmen stattfinden. An diesem Tag hätten die Mitarbeiter „übelste Schmierereien in Fahrstuhl und Treppenhaus vorgefunden, deren Inhalt frauenfeindliche Beleidigungen gegenüber zwei Mitarbeiterinnen waren“. Sie hätten daraufhin die von den anonymen Schmierern verwendete Fäkalsprache in besagten Grammatiktest einfließen lassen, um die Jugendlichen damit zu konfrontieren.
„Diese Maßnahme war fundiert. Es war eine sehr harte Reflexivmethode, aber wir wollten die Betroffenen zu Beteiligten machen und die Beteiligten zu Betroffenen“, erklärt Klasen. Der „Grammatiktest“ habe eine rege Diskussion unter den Teilnehmern ausgelöst. „Seitdem gibt es keine Schmierereien mehr, sondern eine größere Solidarität“ zwischen den Teilnehmern und den Mitarbeitern des Trägervereins. Zudem, so betont der Geschäftsführer, habe Ricky F. aus ganz anderen Gründen die Maßnahme beenden müssen: „Er war hochgradig aggressiv.“ Trotzdem habe Kubus das Jobcenter gebeten, in seinem Fall von Sanktionen abzusehen. Stattdessen wandte sich Kubus an den Sozialpsychologischen Dienst: „Wir hatten die Befürchtung, er könnte größeren Unsinn vorhaben“, so Klasen. NADJA DUMOUCHEL
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