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Archiv-Artikel

Schummler dürfen ausgebürgert werden

Verfassungsgericht entscheidet: Erschlichene Einbürgerungen können rückgängig gemacht werden. Karlsruhe ermahnt jedoch die Politik: Es sollte Fristen geben. Außerdem fehlen Regeln, was bei Entzug der Staatsbürgerschaft mit Angehörigen passiert

VON CHRISTIAN RATH

Eine durch Täuschung erlangte Einbürgerung kann rückgängig gemacht werden. Dies entschied am Mittwoch das Bundesverfassungsgericht und lehnte die Klage eines inzwischen staatenlosen Afrikaners aus Pforzheim ab. Das Grundgesetz stehe einer Ausbürgerung in solchen Fällen nicht entgegen, obwohl es den Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft grundsätzlich verbietet.

Geklagt hatte der gebürtige Nigerianer Benjamin O. Er war Anfang 2000 im baden-württembergischen Pforzheim eingebürgert worden. Zwei Jahre später stellte sich jedoch heraus, dass O. bei der Einbürgerung getrickst hatte. Obwohl der Afrikaner arbeitslos war, hatte er angegeben, dass er den Lebensunterhalt für sich und seine Familie selbst verdiene. Zum Beweis legte er den Lohnzettel einer Gerüstbaufirma vor, der tatsächlich jedoch einem Namensvetter gehörte. Als das Ganze aufflog, nahm die Stadt im Jahr 2002 sofort die Einbürgerung zurück.

Der Mann pochte nun jedoch aufs Grundgesetz, in dem es ausdrücklich heißt: „Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden.“ Die Bestimmung war eine Reaktion auf die Politik der Nationalsozialisten, die ganze Bevölkerungsgruppen aus politischen oder rassistischen Gründen ausgebürgert hatten. Auch von den kommunistischen Machthabern in Osteuropa wollte man sich abgrenzen, die den vertriebenen Deutschen einfach die tschechische oder polnische Staatsbürgerschaft entzogen.

Die Pforzheimer Behörden hielten dem entgegen, der Schutz vor Ausbürgerung gelte nur für die „redlich erworbene“ Staatsbürgerschaft. Dem schloss sich jetzt das Bundesverfassungsgericht an. Verboten sei der Entzug der Staatsangehörigkeit nur, wenn der Staat vermeintlich unwürdige Deutsche aus dem Staatsverbund aussortieren wolle. Die Rücknahme einer Einbürgerung, die durch Täuschung, Bestechung oder Bedrohung erlangt wurde, werde vom Grundgesetz nicht erfasst. Insoweit entschieden die Richter mit sechs zu zwei Stimmen.

Dennoch hätte die Klage des Exnigerianers fast Erfolg gehabt. Vier Richter fanden nämlich, dass der Entzug einer erschlichenen Staatsbürgerschaft ausdrücklich im Staatsangehörigkeitsgesetz geregelt werden müsste. Vier andere Richter hielten dies jedoch für unnötig. Die allgemeine Möglichkeit zur Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte reiche aus. Und bei Stimmengleichheit ist eine Verfassungsbeschwerde abgelehnt.

Immerhin fanden alle Richter, dass der Gesetzgeber noch nacharbeiten muss. Es fehle nämlich eine Regelung, die bestimmt, was nach der Rücknahme einer Einbürgerung mit der Staatsangehörigkeit von Angehörigen, insbesondere von später geborenen Kindern, passiert. Außerdem regen die Richter an, für die Rücknahme von Einbürgerungen eine zeitliche Frist vorzusehen. Nach derzeitiger Gesetzeslage kann eine Einbürgerung auch noch nach Jahrzehnten zurückgenommen werden.

Bei der mündlichen Verhandlung im November war bekannt geworden, dass bundesweit zwischen 2002 und 2004 insgesamt 84 Einbürgerungen wegen Täuschungen rückgängig gemacht wurden. Meist täuschten die Eingebürgerten dabei über die eigene Identität oder über Verwandtschaftsverhältnisse. Andere Ausländer hatten Strafverfahren verschwiegen oder die Tätigkeit bei extremistischen Gruppen.

Die Karlsruher Entscheidung dürfte große praktische Bedeutung haben. Da bei Einbürgerungen immer mehr Angaben und Bekenntnisse abgefragt werden, wächst das Risiko, dass eine bestimmte Angabe später als Täuschung eingestuft wird.

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